Das Wetter vor 15 Jahren
Hotelkulisse kostengünstig, umweltschonend, bürgerinitiativenfreundlich und so schnell wie möglich abbauen könnte.
Literaturbeilage Während Sie jetzt sehr schnell zum Frühstück am nächsten Tag übergehen.
Wolf Haas Ja, er hat über Nacht trotz Schlaflosigkeit ein bisschen Hoffnung aufgebaut. Er sitzt beim Frühstück und hofft eben, dass Lukkis Braut vielleicht doch nicht Anni ist.
Literaturbeilage An diese Hoffnung klammert man sich ja auch als Leser bis zuletzt! Gerade weil sich Kowalski so sicher ist, hofft man beim Lesen ürgendwie auf eine überraschende Wendung. Dass einen der Autor nur an der Nase herumgeführt hat oder so.
Wolf Haas Ich muss zugeben, dass ich mir das sogar beim Schreiben gewünscht habe. Aber überraschende Wendungen sind nicht so unbedingt meine Stärke.
Literaturbeilage Wie er da beim Frühstück sitzt und über seinen aus tiefer Vergangenheit zurückkehrenden Urlaubsvokabeln „Semmel" und „Marille" meditiert -
Wolf Haas Weil er gerade eine Marillenmarmeladen-semmel frühstückt.
Literaturbeilage - da hofft man beim Lesen, dass die negative Erwartung enttäuscht wird! Man hofft, dass vielleicht nur Lukki reinkommt und ihm erzählt, also jetzt mal ganz plump gesagt -
Wolf Haas - und ihm erzählt, dass Anni vor lauter Liebeskummer vor fünfzehn Jahren ins Kloster gegangen ist.
Literaturbeilage Ganz genau, so doof sind wir Leser! Man wünscht sich einfach, dass sie genauso wenig drüber weg ist wie er.
Wolf Haas Dass sie als alte Jungfer im Nachbarhaus vor sich hin träumt und immer noch auf die Rückkehr ihres Vittorio wartet.
Literaturbeilage Herr Haas, ich könnte es mir jetzt ganz leicht machen und sagen: Eine andere Reaktion als den leidenden Rückzug a la Kloster oder alte Jungfer trauen Sie einer Frau offenbar nicht zu. Wolf Haas Moment, das ist unfair! Sie drehen mir das Wort im Mund um. Ich hab mich doch gerade über die Varianten lustig gemacht, die nicht in Frage kommen. Das ist doch der simpelste aller Polemikertricks, dass man eine offensichtlich ironische Aussage einfach wörtlich nimmt.
Literaturbeilage Die Polemik, wenn auch vielleicht nicht so schrecklich simpel, Herr Haas, könnte man auch auf Ihrer Seite sehen. Wenn Sie die Diskussion so führen, als wären Kloster und alte Jungfernschaft die einzigen denkbaren Alternativen zu Annis fröhlichem Brautstatus.
Wolf Haas Na gut, Sie zwingen mich dazu. Sagen Sie aber bitte hinterher nicht, ich hielte Sie wohl für blöd, weil ich es so genau erkläre.
Literaturbeilage Was ich sage, müssen Sie schon mir überlassen.
Wolf Haas Also. Punkt eins: Anni und Lukki schweben strahlend und Arm in Arm in den Frühstücksraum herein, um ihren Jugendfreund zu begrüßen.
Literaturbeilage So war es würklich.
Wolf Haas Genau. Punkt zwei: Sie haben gerade gesagt, man hoffe beim Lesen bis zuletzt, dass es anders wäre. Dass nur Lukki hereinkommt und ihm was erzählt. Da hab ich Sie unterbrochen. Jetzt frag ich Sie, was hofft man denn da, was Lukki ihm erzählen könnte?
Literaturbeilage Na ja, ürgendwas über Anni. Etwas, das weniger schlimm ist, als dass Lukki sie heiratet, aber nicht ganz so klischeehaft wie Kloster oder alte Jungfer.
Wolf Haas Punkt drei.
Literaturbeilage Sie zählen ja würklich gern!
Wolf Haas Meine Äußerung „Kloster" oder „alte Jungfer" ist deshalb als Karikatur zu erkennen, weil ich damit Alternativen in den Raum gestellt habe, die für eine weibliche Biographie im 19. Jahrhundert real, im Mitteleuropa des 21. Jahrhunderts aber -
Literaturbeilage Das ist mir schon klar. Mit meinem Einwand ziele ich darauf, dass Sie mit dieser „Karikatur", wie Sie es nennen, die Tatsache verdecken, dass es auch realistische Versionen gäbe, in denen eine Frau im 21. Jahrhundert das Scheitern ihrer Jugendliebe bedauert, vielleicht sogar immer noch um diese Liebe trauert, ohne dass es deswegen ein karikaturhaftes Ausmaß annimmt. Genau das scheint mir ja auch bei Anni der Fall zu sein! Sie schreiben ja selbst, dass sie in der Nacht nach Vittori-os Auftritt bei Wetten, dass..? sehr traurig war.
Wolf Haas Punkt vier: Meine karikaturhafte Übertreibung punkto Kloster und alte Jungfer ist deshalb einzig und allein als Aussage über Erwartungshaltungen beim Lesen zu verstehen. Im Gegensatz zu weiblichen Biographien ist bekanntlich alles, was mit Literatur zusammenhängt, tatsächlich im 19. Jahrhundert stecken geblieben.
Literaturbeilage So viel zum Thema Polemik!
Wolf Haas Weshalb man, sobald man so
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