Das Wetter vor 15 Jahren
wobei Anni sich längst in den Wolken aufgelöst hat.
Wolf Haas Aber das ist ja genau das Thema der Geschichte! Darum schildere ich ja auch sein Betreten des Hotelfoyers so ein bisschen irreal, fast ein bisschen drogenmäßig. Weil er zum ersten Mal seit fünfzehn Jahren in Richtung Realität marschiert.
Literaturbeilage Übrigens hatte ich an der Stelle, wo er in diesem seltsam psychedelischen Bewusstseinszustand durch das Hotelfoyer auf die Rezeption zuschwebt, fast erwartet, dass Anni als Rezeptionistin hinter der Theke steht. Also auch so aus der Torte.
Wolf Haas Das wäre im Grunde auch besser gewesen.
Literaturbeilage Nein, das finde ich nicht. Es ist schon gut so, dass er sie erst am nächsten Morgen beim Frühstück sieht. Die Erwartung hat sich nur aufgebaut, weil Sie seinen Gang durch das Hotelfoyer so ausführlich schildern. Also ürgendwie fast in Superzeitlupe.
Wolf Haas Wenn man nach einer langen Autofahrt mit diesem Gefühl in den Beinen aussteigt und dann eine Hotelhalle betritt, das hat schon so was Zauberbergmäßi-ges. Vielleicht ist es aber auch nur so ausführlich geworden, weil ich diese Szene auf einer Lesereise geschrieben habe. Da kriegt man immer den Hotelkoller.
Literaturbeilage Es ist ja auch ürgendwie eine Art Donnergrollen, das Sie da schildern.
Wolf Haas Finden Sie?
Literaturbeilage Hinter seinem Rücken wird das Klopfen der Schwingtür immer lauter statt leiser. Und die Schwingtür links von ihm, die von der Hotelhalle in den Speisesaal führt, die klopft ebenfalls. Und der Rhythmus der Türen überlagert sich, sie klopfen immer schneller, je näher die Türen dem Ruhepunkt kommen. Man könnte es auch als Klopfzeichen verstehen. Wenn man den Schluss kennt, kann man sagen, in dem Moment, als er Lukkis Hotel betritt, klopft schon das Unglück an sozusagen.
Wolf Haas Na ja, aber in dem Sinn „klopfen", wie ein Unglück anklopft, tun Schwingtüren ja nicht. Das ist eher ein klopfendes Flattern. Mir ist es bei den Schwingtüren mehr um dieses Transitmäßige gegangen, diese Schleusensituation in einer Hotelhalle. Im ganzen Roman sind ja dauernd alle unterwegs. Aber nicht heroisch wie in einem Roadmovie mit lautem Autoradio und so, sondern eher in so einem magnetischen Hin und Her gefangen.
Literaturbeilage Wie die kleinsten Bausteine der Würklichkeit.
Wolf Haas Nie ist jemand richtig da, verlässlich an Ort und Stelle sozusagen. Das gilt schon für die Vorfahren. Diese tagtägliche Reise in die Schächte unter Tage. Oder auf Annis Seite die Bergsteiger, die Schmuggler. Alle müssen immer irgendwohin.
Literaturbeilage Nach enten?
Wolf Haas Wohin? Ja genau, (lacht) Nach enten.
Literaturbeilage Sie haben Ihren Roman in einem Interview ja sogar einmal so zusammengefasst: Es sei die Geschichte zweier Regionen, wo die einen immer auf die Berge und die anderen immer in die Berge rennen.
Wolf Haas Diese Äußerung hab ich dann aber schwer bereut, weil es mir total psychoanalytisch ausgelegt worden ist, also die Bergpenetrierer und die Gipfelstürmer oder so irgendwie.
Literaturbeilage Angesichts der orgiastischen Geschichte, auf die alles hinausläuft, ist das ja auch nicht so ganz verwunderlich, oder?
Wolf Haas Man muss als Autor schon aufpassen, dass man nicht seine eigene Geschichte zu Tode interpretiert.
Literaturbeilage Dass Sie seinem ersten Gang durch die Hotelhalle so viel Raum geben, bevor er dann den Zettel liest, das hat mich an ein Zitat aus Andy Warhols Tagebüchern erinnert. Da heißt es auch einmal, dass Hotelhallen die schönsten Orte sind, und man würde so gern in der Hotelhalle übernachten.
Wolf Haas In der Halle von Lukkis Wellnesshotel Schwalbenwandblick hätte er allerdings Reißaus genommen. Das ist ein rustikaler Alptraum. Diese Jodelarchitektur ist wirklich ein Wahnsinn!
Literaturbeilage Das kommt allerdings im Buch gar nicht so krass rüber.
Wolf Haas Man kann das in einem Roman gar nicht verwenden. So ein Gebäude steht noch in einem Buch ungut herum!
Literaturbeilage In einem Brenner-Roman hätten Sie wahrscheinlich geschrieben: Da müsste sich mal amnesty international drum kümmern.
Wolf Haas So ungefähr. Aber so hab ich eigentlich alles gestrichen, also die Ausstattung, diese ganze Vollholzscheiße, das hab ich alles rausgestrichen. Ursprünglich hab ich ein ganzes Kapitel drinnen gehabt, wo Herr Kowalski in der ersten Nacht nicht schlafen kann. Und als Einschlafübung entwirft der Abbauingenieur im Kopf einen exakten Plan, wie man diese
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