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Das Wetter vor 15 Jahren

Das Wetter vor 15 Jahren

Titel: Das Wetter vor 15 Jahren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Haas
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überleben kann, wenn man sich im Raum befindet. Dass man da nicht durch die Druckwelle oder so einfach zerfetzt wird. Wolf Haas Das hätte ich auch gedacht. Ist aber nicht so! Das ist bei professionellen Sprengungen, also etwa im Tunnelbau, auch so, dass die Sprengmeister sich oft im Inneren des Tunnels befinden. Das kann man im Prinzip schon so machen.
    Literaturbeilage Aber die haben etwas bessere technische Voraussetzungen.
    Wolf Haas Allerdings! Er konnte überhaupt nicht damit rechnen, dass er da mit heiler Haut davonkommt.
    Literaturbeilage Er wusste ja auch genau, dass er nach der Sprengung endgültig verschüttet sein würde. Wolf Haas Anders war das unmöglich! Seine einzige Hoffnung war, dass das Schmugglerlager durch die Sprengung ausreichend beschädigt wird, also von außen sichtbar, dass da irgendein Riss in der Oberfläche oder was entsteht, damit endlich jemand auf die Idee kommt, nach ihm zu suchen. Dass gleichzeitig aber er selbst hinter diesem Felsvorsprung nur so wenig Schaden nimmt, dass er noch lebend geborgen wird. Darum war es ja auch so wichtig, wie er die Sprengladung dosiert.
    Literaturbeilage Zu wenig und zu viel -
    Wolf Haas Genau - ist des Narren Ziel. Woher kennen Sie das?
    Literaturbeilage Na, aus Ihrem Buch.
    Wolf Haas Ach so, ich hab geglaubt, das hab ich gestrichen.
    Literaturbeilage Es sind später ja auch Stimmen laut geworden, es hätte sich um einen Selbstmordversuch gehandelt. Kowalski hätte eigentlich nur sein Leiden da unten beenden wollen.
    Wolf Haas Das hat ihn wahnsinnig geärgert. Irgendeine Lokalzeitung hat das geschrieben. Ist ja wirklich eine Frechheit. Ich glaube, es hat ihn nicht nur menschlich verletzt, weil man sich einen Selbstmordversuch nicht so ohne Weiteres nachsagen lässt. Es hat auch seinen Ingenieursstolz etwas gekränkt.
    Literaturbeilage Gegen solche Gerüchte ist man machtlos.
    Wolf Haas Für mich war's natürlich ein Glück. Ich glaube kaum, dass er sonst mir gegenüber so offen gewesen wäre, wenn er nicht selbst Interesse gehabt hätte, dass alles wahrheitsgemäß dargestellt wird.
    Literaturbeilage Obwohl man ja sagen muss, dass man auch beim Lesen das Gefühl hat, dass er fast mit einer selbstmörderischen Konsequenz vorgeht.
    Wolf Haas Ja, es war schon eine Harakiri-Aktion. 47 Minuten vor Annis Hochzeit hat er die Zündkapsel einer Handgranate freigelegt.
    Literaturbeilage Im Buch heißt es: „Ich entfernte die Sprengladung, wie ein Koch die ungenießbaren Teile einer Frucht entfernt."
    Wolf Haas Dann hat er diesen Zünder an das offene Bodenende der ersten Tellermine gelegt.
    Literaturbeilage Dieser Vergleich mit einer Frucht, die er entkernt, klingt ja ürgendwie fast sinnlich.
    Wolf Haas Ohne eine gewisse sinnliche Lust am Schrauben und Auseinanderbauen geht so eine Operation auf jeden Fall schief.
    Literaturbeilage Es hat ja fast etwas Tranceartiges, wie Sie das zügige Hantieren mit den hochexplosiven Stoffen schildern. Sie schreiben, dass er dabei die ganze Zeit an das Wetter dachte.
    Wolf Haas Ich glaube, das hat ihm die entscheidende Ruhe und Sicherheit gegeben.
    Literaturbeilage Sie schreiben sogar, dass ihn dieser Gedanke an die Tropopause, also an diesen Deckel, den die Stratosphäre auf die Troposphäre hält, dazu veranlasste, noch eine vierte Tellermine zu verdammen. Von diesem Phänomen ist er ja richtig besessen. Er erwähnt es immer wieder!
    Wolf Haas In dieser Situation hatte er allerdings einen guten Grund. Weil eben nur die extreme Aufwindenergie, wie sie schwere Vulkanausbrüche erzeugen, den Deckel heben und die Wolken in die Stratosphäre hinaufdrücken kann. Oberflächlich dachte er an die Tropopau-se, aber in Wahrheit war er gerade dabei, die richtige Dosierung zu entscheiden! Das ist wie beim Schreiben. Da denkt man auch immer an was anderes als an das, an das man gerade denkt.
    Literaturbeilage Oder wie beim Autofahren, wenn man träumt, statt die Schilder zu lesen.
    Wolf Haas Genau! Zu dem Zeitpunkt wäre ich schon längst in Farmach gewesen, wenn ich nicht die Wegweiser übersehen hätte vor lauter Nachdenken, wie ich den Kowalski am besten ansprechen soll. Ich hab ja geglaubt, ich finde ihn im Hotel. Und der Erstkontakt ist natürlich wahnsinnig wichtig, damit jemand nicht von vornherein nur abblockt.
    Literaturbeilage Letzten Endes war es aber egal, dass Sie zu spät gekommen sind.
    Wolf Haas Bei mir ist es nicht darauf angekommen. Bei ihm schon, da ist es jetzt um Sekunden gegangen. Und um die exakte Dosierung.

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