Das Wetter vor 15 Jahren
hat.
Literaturbeilage Ein Happy End.
Wolf Haas Höre ich da einen zynischen Unterton heraus?
Literaturbeilage Zynismus ist mir fremd. Aber Lukkis Tod bei den Rettungsarbeiten handeln Sie doch etwas stiefmütterlich ab.
Wolf Haas Wirklich? Und ich hatte beim Schreiben eher das Gefühl: Jetzt drückst du aber wieder mal drauf.
Literaturbeilage Na! Ich hab das beim ersten Lesen gar nicht richtig mitgekriegt, dass Lukki dem Verschütteten das Leben gerettet und dabei sein eigenes verloren hat.
Wolf Haas Aber so was kann man nicht auch noch mit einem Streichorchester unterlegen. Das wird ja unerträglich. Darum hab ich auch ganz darauf verzichtet, hier noch einmal die Parallele zu den Grubenunglücken zu ziehen. Obwohl es sich wirklich aufgedrängt hätte, weil da ja auch oft die Rettungstrupps verunglücken und der Verschüttete überlebt.
Literaturbeilage Ich möchte auch gar nicht die Mora-lapostelin spielen. Im Gegenteil, ich finde es gerade interessant, wie man da als Leserin auch zur Mittäterin wird. Man wünscht sich, dass Anni und Vittorio zusammenkommen. Und der Störende soll ürgendwie verschwinden.
Wolf Haas Das hängt natürlich von der Erzählperspektive ab, wer der Störende ist. In Kowalskis Liebesgeschichte ist Lukki der Störende, insofern stimmt das natürlich schon mit der Mittäterschaft. Aber in der Realität des Dorfes ist natürlich Lukki der Rechtmäßige.
Literaturbeilage Der Platzhirsch
Wolf Haas Und Kowalski ist der Eindringling. Der Störende, der weg soll. Der ins Ruhrgebiet verschwinden soll.
Literaturbeilage Sich „schleichen".
Wolf Haas Genau. Damit die Dinge ihren geordneten Lauf nehmen.
Literaturbeilage Aber Vittorio Kowalski war nicht wegzukriegen.
Wolf Haas Er hat sich gewehrt.
Literaturbeilage Das ist wohl der eigentliche Grund, dass man zu ihm hält. Und dass man's mit der Trauer um den Platzhirsch, der immerhin sein Lebensretter war, nicht ganz so genau nimmt.
Wolf Haas Ja klar. Wenn ein Schwacher zurückschlägt, das hat was. Er hat ja wirklich mit Kratzen und Beißen um Anni gekämpft!
Literaturbeilage Zuerst hat er Annis Vater beseitigt und dann ihren Bräutigam.
Wolf Haas Jetzt hat er endlich seinen ersten Kuss.
Literaturbeilage Auf den er fünfzehn Jahre gewartet hat.
Wolf Haas Und er ist so gut!
Literaturbeilage Zwei Zentimeter in gerader Linie vom linken Augenwinkel.
Wolf Haas Ja. Er spürt ihn die ganze Nacht. Er hat so große Angst, der Kuss könnte von dort verschwinden, dass er sich bis zum Morgen nicht zu bewegen wagt in seinem Krankenhausbett.
Literaturbeilage Gemessen an der Gewalt der Explosion ist er mit seinen Verletzungen ja fast glimpflich davongekommen.
Wolf Haas Schwere Gehirnerschütterung, gebrochener Oberarm. Das ist nicht nichts, aber -
Literaturbeilage - aber es wird wieder.
Wolf Haas Kinder tröstet man ja mit den Worten: Bis zum Heiraten wird's wieder gut. Er hat wirklich Glück gehabt. Nur die Zehe haben sie bei den Aufräumarbeiten natürlich nicht mehr gefunden.
Literaturbeilage Aber das Einzige, was er in dieser Nacht spürt, ist sein Backenknochen.
Wolf Haas Ja, der ist entflammt sozusagen. Er denkt an nichts anderes. Er möchte eben, dass der Kuss auf seiner Wange bleibt, bis Anni ihn morgen wieder besucht. Sie hat ja gesagt, morgen komm ich wieder.
Literaturbeilage Ich hab am Schluss die ganze Zeit darauf gewartet, dass er sich endlich erinnert.
Wolf Haas Wie meinen Sie, „erinnert"?
Literaturbeilage Das wäre Ihnen wahrscheinlich zu rund gewesen, das kann ich schon verstehen. Aber ür-gendwie fehlt einem beim Lesen am Ende doch die Auflösung. Wenn bei ihm wenigstens ansatzweise die Erinnerung eingesetzt hätte. Vielleicht beim Erwachen im Krankenhaus oder so. Oder nach dem Kuss, als er die ganze Nacht den Kuss bewacht, da hätte doch die Erinnerung kommen können.
Wolf Haas Ich bin jetzt nicht sicher, worauf Sie hinauswollen.
Literaturbeilage Na, worauf wohl. Auf seinen Silbersternchen-Orgasmus!
Wolf Haas Ich war schon die ganze Zeit gespannt, warum Sie sich die Uhr aufs andere Handgelenk gegeben haben.
Literaturbeilage Richtig, die kann ich jetzt wieder zurücktun. Da hätte ich mich hinterher würklich grün und blau geärgert, wenn ich vergessen hätte, Sie danach zu fragen.
Wolf Haas Das ist jetzt ein bisschen so wie mit dem Pfarrer bei der Hochzeit. Eigentlich haben Sie mich nämlich gar nichts gefragt.
Literaturbeilage Die Frage lautet, warum Sie so schamhaft verschweigen, dass er durch seinen
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