Das wird mein Jahr
sauberen Lappen putzte. »Ein Glück, dass mein alter Herr so viele Ersatzteile gebunkert hat. Ich könnte mir die Karre komplett noch zweimal aufbauen.« Er kroch wieder unter den linken Radkasten. »Schwester: Zange und Tupfer!«, rief er mir gut gelaunt zu.
Katrin und Anke kannten wir seit der Schulzeit. Sie gehörten zu unserer Clique, die sich seit drei Jahren in der Rakete traf, ein kleiner Flachbau gleich neben der Schule.Wir waren bislang nur »gute Freunde« und Bandkollegen. Aber Andi und ich wollten das ändern. Bei ABBA hatte es das doch auch gegeben, zwei Pärchen in einer Band. Als Andi sie darum letzte Woche bei der Disco in der Rakete ziemlich besoffen, aber mit ironischem Unterton fragte: »Sagt mal, Mädels, das Wichtigste haben wir für unseren gemeinsamen Urlaub noch gar nicht besprochen. Nehmt ihr eigentlich die Pille?«, schubsten sie ihn empört vom Barhocker. Aber den Urlaub sagten sie nicht ab.
Zuerst luden wir Katrin ein. Sie wohnte nur eine Straße von uns entfernt und stand schon fix und fertig vor ihrer Haustür. Um sich hatte sie einen Berg an Gepäck angehäuft, und ich war mir bei dessen Anblick nicht sicher, ob der ins Auto passen würde. Wir stiegen aus und begannen nach dem obligatorischen Begrüßungsküsschen ihre Sachen in den Kofferraum zu zwängen.
»Da kann man ja nur hoffen, dass Anke nicht mehr als eine Handtasche mitnimmt«, flüsterte ich Andi zu, während er versuchte, die Hecktür zuzubekommen.
»Ist halt auch ’ne Kundin«, antwortete er und grinste zu Katrin rüber, die ihrer Mutter am Fenster noch mal zuwinkte, bevor sie einstieg. Für Andi waren alle und alles »Kunden«, obwohl er gar kein Verkäufer war.
Katrin saß hinter uns im Warti, und ihre The-Cure-mäßig auftoupierten Haare dufteten nach Action-Haarspray. Dazu hatte sie wie immer einen dunkelroten Lippenstift aufgelegt. Sie trug ein weißes kurzärmliges Hemd und einen schwarzen Rock. Ihr Gesicht und die Frisur erinnerten mich ein wenig an Claudia Brücken, die Sängerin von Propaganda.Nach der zehnten Klasse hatte Katrin Kellnerin in einem der schicken Interhotels in der Innenstadt gelernt. »Weil man da zur Messe manchmal Westkohle als Trinkgeld bekommt«, wie sie sagte.
Anke, ihre beste Freundin, wohnte zwar auch in Grünau, aber nicht in einer der Betonburgen. Zwischen all den endlosen Plattenbauten gab es eine schicke Einfamilienhaussiedlung, schon lange bevor die ersten Neubauten entstanden waren, und dort wohnte Anke.
Sie kam zusammen mit ihren Eltern aus der Tür. Alle trugen irgendein Gepäckstück, und der Kofferraum war bereits mit unseren Taschen, zwei Zelten, Luftmatratzen, Lebensmitteln für eine Woche, zwei vollen Benzinkanistern und jeder Menge Autoersatzteilen gefüllt. Und mit dem Kram von Katrin. In Ungarn mussten wir mit dem Geld haushalten, da man nur eine begrenzte Menge Ost-Mark pro Tag in ungarische Forint umtauschen durfte.
Ankes Vater, wie immer in Hemd und Schlips, begrüßte Katrin freundlich, Andi und mich weniger, aber dennoch höflich. Es hatte wegen dieses Urlaubs einigen Ärger bei ihr zu Hause gegeben, da ihr Vater anfangs absolut dagegen war, aber Anke hatte es irgendwie doch noch geschafft, ihn umzustimmen. Andi musste vor einigen Tagen bei ihrem Vater vorstellig werden und sich eine längere »Belehrung« anhören. Er nahm es gelassen. Sogar auch, dass Ankes Vater jetzt unseren Kofferraum noch mal komplett ausräumen und mit »Sinn und Sachverstand«, wie er sich ausdrückte, alles wieder ordentlich einpacken wollte, sodass auch Ankes riesige Reisetasche und ihr Schlafsack Platz fanden.
Bei der Verabschiedung gab er uns allen wieder dieHand und blickte Andi und mir eindringlich in die Augen: »Na dann, bringt mir meine Tochter gesund und munter zurück«, sagte er in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete. Hatte ich schon erwähnt, dass er Chefarzt war?
Endlich waren wir komplett, und es ging los. Raus aus der Stadt, rein in den Urlaub. Zusammen mit den Mädels! Bis zuletzt hatte ich Schiss, dass irgendwas nicht klappen könnte, aber nun war alles perfekt. Andi gab Gas, und der Zweitaktmotor heulte auf. The Innocent Disco gingen auf Tour.
Ich schloss die Augen. Die Idee mit der Band hatten Andi und ich eines Abends an der Bar nach unzähligen Wodka-Cola gehabt. Musik war seit Jahren mein Ein und Alles und ich hatte mich sogar durch drei Jahre Gitarrenunterricht geschrammelt, vorbei an Volks- und Wanderliedern bis hin zu einigen Beatles-Songs. Letztes Jahr
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