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Das wird mein Jahr

Das wird mein Jahr

Titel: Das wird mein Jahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sascha Lange
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abends zu Andi hochgegangen, weil er sturmfreie Bude hatte und wir West-Fernsehen gucken wollten, bis das Testbild kam. Zu später Stunde kündigte ein hagerer Typ mit perfekt sitzender Frisur im »Rockpalast« eine englische Band namens The Smiths an. Wir hatten keine Ahnung wer das war, aber dann stand dieser Typ auf der Bühne, mit schlampiger Elvis-Tolle und ausgewaschenen Jeans in deren Arschtasche ein Strauß Blumen steckte. Erhatte ein rotgeblümtes Hemd an, das wie eins meiner Oma aussah, und tanzte so ausgelassen, dass es mir die Sprache verschlug. Und erst dieser coole Gitarrensound. Dieser Abend hatte mein Leben verändert. In dieser Nacht, nach diesem Rockpalast, ließ ich alles hinter mir, was mich jemals zuvor interessiert hatte. Jetzt gab es nur noch Musik für mich.
    Am frühen Abend kam ich endlich vor der Philipshalle an. Das Gebäude war ein hässlicher 70er-Jahre-Flachbau, wie eine DDR-Kaufhalle im XXL-Format. Überhaupt machte Düsseldorf keinen besonders einladenden Eindruck, aber scheiß drauf, heute ging es nur um Morrissey! Nach dem Konzert wollte ich die Nacht durch nach Leipzig fahren, weil morgen mein Vater Geburtstag hatte, doch über meinen ersten Besuch in der Zone seit einem Dreivierteljahr dachte ich jetzt nicht weiter nach.
    Die Halle war voll. Ich lief wie ein Tiger im Raubtierkäfig auf und ab und kaufte mir erstmal ein Bier – 0,4 Liter im Plastikbecher für unverschämte fünf Deutsche Mark zur Beruhigung. Aber erst das zweite entfaltete langsam eine entspannende Wirkung in mir. Dann, nach Ewigkeiten, ging endlich das Saallicht aus. Durch die Menge fuhr ein Kreischen und Johlen, und ich drängelte mich durch die Massen Richtung Bühne. Sprechchöre wurden angestimmt wie im Fußballstadion. Nur wenige Meter vor der Bühne stand ich schließlich, eingekeilt von erwartungsfrohen Gesichtern.
    Plötzlich begann die Menge wie verrückt zu kreischen. Die Musiker standen schon da. Und dann kam er. Im golden, glitzernen Seidenhemd, mit perfekt sitzender Frisur und einer wundervoll theatralischen Handbewegung: Morrissey!Ich riss die Arme in die Höhe und schrie so laut ich konnte. Die Menge drückte von hinten, und es wurde so eng, dass ich die Schweißperlen meiner Mitmenschen zählen konnte. Ganz nah stand ich hinter einem wasserstoffblondem Pferdeschwanz, er kitzelte mir fast in der Nase.
    Das erste Lied setzte ein, und ich bekam den größten Adrenalinschock meines Lebens. Doch nicht wie alle anderen wegen Morrissey, sondern wegen … Anke.
    Vor mir stand: Anke. Nein! Oder? Doch! Das … Das konnte einfach nicht wahr sein! Ich vergaß mitzusingen, ich vergaß Morrissey, ich vergaß die letzten zwölf Monate, in denen ich sie nicht gesehen hatte. Ob sie das wirklich, wirklich war? Mein Blick klebte an ihrem Nacken, und ich überlegte, ob ich sie antippen sollte, damit sie sich umdrehte. War sie alleine hier? Sie schien nicht mit den Leuten neben sich zu reden. Das erste Lied endete gerade, das Publikum tobte und ich stand wie versteinert da und konnte nicht mal klatschen. Auch vom nächsten Song bekam ich nur die Hälfte mit, in meinem Kopf arbeitete es unaufhörlich. Was sollte ich nun tun?
    Dann erklang »Everyday Is Like Sunday«, mein absolutes Lieblingslied. Das war der Song, den ich damals pausenlos in Leipzig gehört hatte, nachdem Anke abgehauen war. Es wäre der passendste Moment, um sie anzusprechen. Ich musste es einfach tun – jetzt: »Anke?« Ich sprach den Namen direkt in ihr linkes Ohr.
    Erst drehte sich nur der Kopf halb um und dann sogleich der ganze Körper. »Friedemann.«
    Ich konnte meinen Namen nur von ihren Lippen ablesen. Ihr Gesicht verriet keine Regung. Ich hatte eigentlicherwartet, dass sie überrascht sei, geschockt, euphorisiert – aber nichts dergleichen. Sie sagte irgendetwas, das ich wegen der lauten Musik nicht verstand. Wir standen fast so eng beieinander wie im Sommer 1989 in der Siófoker Disco. Plötzlich legte sie wortlos ihre Arme um mich. Damit hatte ich nun wirklich nicht gerechnet. Ich umarmte sie ebenfalls, und so standen wir in der Menge. Minutenlang. Ihre blaue Jeansjacke roch nach West-Waschmittel. Na ja, jetzt rochen ja alle Jacken so. Aber es war mir trotzdem aufgefallen. Auf was für einem Film war ich hier bloß drauf ? Ich hatte doch gar nicht gekifft, und von dem bisschen Bier konnte wohl kaum so eine Halluzination zustande kommen. So eine gigantisch geile Halluzination. Bitte, hör nicht auf !
    Anke gab mir ein Zeichen, dass wir

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