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Das wird mein Jahr

Das wird mein Jahr

Titel: Das wird mein Jahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sascha Lange
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Wahnsinn, wie im Paradies. Hier wird man nicht gegängelt, von wegen Miete pünktlich überweisen. Endlich mal ein Flecken Erde, wo es nicht um Geld geht. Ich hätte nicht gedacht, dass im Osten jetzt so viel möglich ist. Hier wohnen Leute aus allen Teilen des Landes, also Ostler und Westler und auch einige Amis und von sonstwo. Und vor allem Schwaben.«
    »Kaum zu glauben. So was gibt es?« Wieso schwärmte ein Westdeutscher für alte verfallene Häuser in der DDR?
    »Friedemann, deswegen rufe ich an: Hier ist es gerade total spannend. Hast du nicht Lust uns mal besuchen zu kommen? In Esslingen versauerst du doch nur. Hier würde es dir bestimmt gefallen. Das ist eine völlig neue Welt. Wie ein weißes Blatt Papier und wir können es bemalen.«
    »Das klingt toll, aber ich habe jetzt noch keinen Urlaub. Und übers Wochenende ist Berlin zu weit weg. Also mal sehen. Ich hab hier noch einiges zu tun.« Zum Beispiel Double Trouble meine Kohle abnehmen. »Und dann fahr ich bald zum Morrissey-Konzert nach Düsseldorf. Das darf ich auf keinen Fall verpassen.«
    »Cool, na gut. Aber schreib dir in jedem Fall mal unsere Adresse auf. Telefon haben wir hier noch nicht, ich rufe aus ’ner Telefonzelle an.« Ich angelte mir Stift und Zettel. »Also, schreib an B. Setzer, zu Händen Matti oder Noel, Mainzer Straße 8, Berlin-Friedrichshain, DDR. Die Postleitzahl weißich gerade nicht, kommt aber trotzdem an. Das ›DDR‹ aber nur noch bis zum 2. Oktober. Oder schreib einfach Ost-Berlin. Oder komm halt vorbei. Hier sind noch ein, zwei Zimmer frei bei uns im Haus, da kannst du immer pennen.«
    »Das klingt echt gut, Matti.«
    »Ja, das ist es. Du, ich muss Schluss machen, meine Münzen sind alle. Mach’s gut, Friedemann.«
    »Grüß Noel. Ich komm bestimmt mal vorbei. Tschüss.«
    Noel und Matti in Ost-Berlin. Keine Verpflichtungen, keine Autokredite, die sie abbezahlen müssten. Sie hatten einfach alles hinter sich gelassen und brachen auf zu neuen Ufern. Ich musste noch gut fünftausend Mark für den Bus blechen. Danach … Ja, vielleicht danach könnte ich auch mal aussteigen, für ein paar Wochen.
    Es schien ein heißer Tag zu werden, was für Ende Juli nicht verwunderlich war, und ich sollte um zehn Uhr den etwa siebenhundert Quadratmetern Rasen bei Elisabeth und Jürgen Albrecht eine neue Kurzhaarfrisur verpassen. Rasenmähen war für einen Gärtner nicht gerade eine anspruchsvolle Tätigkeit, aber die Monotonie des Hin-und-Her-Schiebens hatte durchaus auch etwas Entspannendes. Heute fuhr ich allein, ohne Miro. Auf dem Weg dorthin malte ich mir aus, wie Elisabeth mir in ihrer Küche erst mal einen Espresso machen würde … Vergnügt rückte ich meine Sonnenbrille zurecht und drehte das Autoradio lauter.
    »Hallo, schöne Frau«, grüßte ich lässig, als Elisabeth mir die Tür öffnete. Ich wollte ihr gerade einen Kuss geben, als sie zurückwich und leise sagte: »Jürgen ist da.« Ich nickteirritiert und ging zum Transporter zurück, um den Rasenmäher auszuladen. Jürgen ist da – was sollte das denn heißen? Musste der nicht gerade die nächste Million verdienen? Irgendwas war hier im Busch, und es waren nicht die vergessenen Zweige des letzten Verschnitts.
    Gleichmäßig schob ich den Rasenmäher über die leicht abfallende Wiese mit Blick in den Stuttgarter Talkessel. Seit einiger Zeit traf ich mich mit Elisabeth zweimal die Woche entweder bei mir oder bei ihr. Wir tranken italienischen Rotwein, den sie immer aussuchte, hörten Musik, die ich immer auflegte und schliefen miteinander. Danach fuhr sie nach Hause oder ich, und das war okay so. Ich mochte sie wirklich, aber ich konnte nicht sagen, dass ich verliebt in sie war.
    Ich machte den Rasenmäher aus und ging rüber zu den vertrockneten Himbeersträuchern, die ich noch entfernen sollte. Gerade hatte ich mich gebückt, als sich plötzlich ein ziemlich großer Schatten vor mir aufbäumte. Ich drehte mich um.
    »Sie sind also der Gärtner.« Elisabeths Mann war geschätzte vierzig, und in seinem schwarzen Maßanzug erinnerte er mich an einen smarten Versicherungsvertreter aus der Fernsehwerbung. Schwer vorstellbar, dass er früher mal zu Joy-Division-Konzerten gegangen war. Sein Tonfall verriet keinerlei Aggression oder Erregung.
    Ich stand langsam auf. »Guten Tag«, begrüßte ich ihn artig.
    »Kommen Sie bitte mal, ich hab kurz was mit Ihnen zu bereden, es dauert nicht lange«, sagte er geradezu freundlich und zeigte mit einer Hand in Richtung der Sitzgruppeaus

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