Das Wirken der Unendlichkeit
beginnt ein Prozeß, in dem es zur Routine wird, daß das Bewusstsein des Fliegers die Flucht ergreift, bis er eines Tages endgültig flieht. Das ist dann ein trauriger Tag! An diesem Tag musst du dich auf deine eigenen Mittel verlassen, die praktisch gleich Null sind. Niemand sagt dir, was du tun sollst. Kein Bewusstsein fremden Ursprungs diktiert dir mehr den Schwachsinn, an den du gewöhnt bist.
Mein Lehrer, der Nagual Julian, hat alle seine Schüler gewarnt und gesagt«, fuhr Don Juan fort, »daß dies der schwierigste Tag im Leben eines Zauberers ist, denn das wahre Bewusstsein, das uns gehört, die Summe unserer Erfahrungen, ist durch die lebenslange Fremdherrschaft scheu, unsicher und unbeständig geworden. Ich würde sagen, daß der wahre Kampf der Zauberer in diesem Augenblick beginnt. Alles andere ist nur die Vorbereitung darauf.« Ich wurde wirklich aufgeregt. Ich wollte unbedingt mehr wissen, und doch verlangte ein eigenartiges Gefühl in mir, mich zurückzuhalten. Das Gefühl deutete finstere Folgen und Strafen an, so etwas wie den Zorn Gottes, der über mich herabkommen werde, weil ich mich in Dinge einmischte, über die Gott selbst einen Schleier gezogen hatte. Ich unternahm eine übermenschliche Anstrengung, meine Neugier siegen zu lassen. »Was... was... was meinst du«, hörte ich mich sagen, »mit das Bewusstsein des Fliegers belasten!« »Disziplin belastet das fremde Bewusstsein sehr«, erwiderte er. »Und so siegen die Zauberer durch ihre Disziplin über den Fremdkörper.«
Seine Aussagen überwältigten mich. Ich dachte, Don Juan sei entweder mit Sicherheit geistesgestört, oder er verrate mir etwas so Furchterregendes, daß alles in mir erstarrte. Ich registrierte allerdings, wie schnell ich meine Kraft zusammennahm, um alles zu verwerfen, was er gesagt hatte. Nach einem kurzen Augenblick der Panik begann ich zu lachen, als hätte Don Juan einen Witz gemacht. Ich hörte mich sogar sagen: »Don Juan, Don Juan, du bist einfach unverbesserlich!« Don Juan schien völlig zu verstehen, was ich erlebte. Er schüttelte den Kopf und hob in gespielter Verzweiflung die Augen zum Himmel. »Ich bin so unverbesserlich«, sagte er, »daß ich dem Bewusstsein des Fliegers, das du in dir hast, noch einen weiteren Stoß versetze. Ich werde dir eines der außergewöhnlichsten Geheimnisse der Zauberei verraten. Ich werde dir eine Entdeckung beschreiben.
Zauberer haben Jahrtausende gebraucht, um ihre Wahrheit nachzuweisen und zu erhärten.« Er sah mich an und lächelte boshaft. Das Bewusstsein des Fliegers flieht endgültig«, sagte er, »wenn es einem Zauberer gelingt, die Vibrationskraft zu packen, die uns als ein Konglomerat von Energiefeldern zusammenhält. Hält der Zauberer den Druck lange genug aufrecht, ist das Bewusstsein des Fliegers besiegt und flieht. Und genau das wirst du tun. Du wirst dich an der Energie festhalten, die dich zusammenfügt.«
Ich erlebte die unerklärlichste Reaktion, die ich mir vorstellen konnte. Etwas in mir schwankte tatsächlich, als habe es einen Stoß erhalten. Ich geriet in einen Zustand nicht zu rechtfertigender Angst, die ich sofort mit meinem religiösen Hintergrund in Verbindung brachte. Don Juan musterte mich von Kopf bis Fuß.
»Du fürchtest den Zorn Gottes, nicht wahr?« sagte er. »Ich kann dir versichern, das ist nicht deine Angst. Es ist die Angst des Fliegers, der weiß, daß du genau das tun wirst, was ich dir sage.«
Seine Worte beruhigten mich keineswegs. Mein Zustand wurde schlimmer. Ich hatte unfreiwillige Zuckungen und konnte nichts dagegen tun.
»Keine Sorge«, sagte Don Juan ruhig. »Ich weiß genau, solche Anfälle sind schnell vorüber. Dem Bewusstsein des Fliegers fehlt jede Konzentration.« Nach einem Augenblick hörte alles auf, wie Don Juan vorausgesagt hatte. Es wäre untertrieben, noch einmal zu sagen, daß ich verwirrt war. Zum aller ersten Mal im Leben, mit Don Juan oder ohne ihn, wusste ich nicht mehr ein noch aus. Ich wollte vom Sessel aufstehen und hin und her gehen, aber ich litt Todesangst. Ich hatte jede Menge rationaler Erklärungen, und gleichzeitig erfüllte mich eine kindische Angst. Kalter Schweiß bedeckte meinen ganzen Körper, und ich begann tief zu atmen.
Irgendwie hatte ich einen wahrhaft furchtbaren Anblick auf mich losgelassen - schwarze flüchtige Schatten, die um mich herumhüpften, wohin ich mich auch wandte.
Ich schloß die Augen und legte den Kopf auf die Sessellehne. »Ich weiß nicht, was ich tun soll, Don
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