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Das Wirken der Unendlichkeit

Das Wirken der Unendlichkeit

Titel: Das Wirken der Unendlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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bewirken sie ein momentanes Aufflackern des Bewusstseins, das sie dann rücksichtslos und räuberisch verschlingen. Sie legen uns alberne Probleme vor, die das Bewusstsein zum Aufflackern zwingen. So halten sie uns am Leben, damit die energetischen Flammen unserer Pseudoprobleme sie ernähren.
    Etwas an dem, was Don Juan sagte, musste so niederschmetternd gewesen sein, daß mir an diesem Punkt tatsächlich übel wurde.
    Nach einer Pause, die gerade lang genug war, um mich wieder zu erholen, fragte ich Don Juan: »Wie kommt es, daß die Zauberer im alten Mexiko und die heutigen Zauberer die Raubwesen sehen, aber nichts dagegen unternehmen?«
    »Es gibt nichts, was du und ich dagegen tun können«, erwiderte Don Juan ernst und traurig. »Wir können uns nur so weit selbst disziplinieren, daß sie uns nicht anrühren. Wie könntest du von deinen Mitmenschen verlangen, sich einer so rigorosen Disziplin zu unterwerfen? Sie würden lachen und dich verspotten, und die aggressiveren unter ihnen würden dich halb totprügeln. Aber weniger deshalb, weil sie dir nicht glauben würden, denn jeder Mensch trägt tief im Innern ein ererbtes Bauch-Wissen von der Existenz der Räuber in sich.« Mein analytischer Verstand verhielt sich wie ein Jo-Jo. Er war da, verschwand, kam wieder, verschwand und kam wieder. Was Don Juan behauptete, war absurd, unglaublich. Gleichzeitig war es so einfach, es war das Vernünftigste überhaupt. Es erklärte jede Art menschlicher Widersprüche, die ich mir vorstellen konnte. Aber wie konnte man das alles ernst nehmen? Don Juan stieß mich in die Bahn einer Lawine, die mich auf immer in die Tiefe reißen würde.
    Mich überkam die Woge einer bedrohlichen Empfindung. Die Woge stieg nicht in mir auf, doch sie war mit mir verbunden. Don Juan tat etwas geheimnisvoll Positives und gleichzeitig schrecklich Negatives mit mir. Ich empfand es als den Versuch, eine dünne Membrane zu zerschneiden, die an mir zu kleben schien. Er blickte mir unverwandt und ohne zu blinzeln in die Augen. Dann wandte er den Blick ab und begann zu sprechen, ohne mich noch einmal anzusehen.
    »Wann immer dich Zweifel bis an einen gefährlichen Punkt plagen«, sagte er, »tu etwas Pragmatisches dagegen. Schalte das Licht aus. Ergründe die Dunkelheit und finde heraus, was du sehen kannst.« Er stand auf, um die Lampen auszuschalten. Ich hielt ihn davon ab.
    »Nein, nein, Don Juan«, sagte ich, »schalte das Licht nicht aus. Es ist alles in Ordnung.« Ich hatte plötzlich eine für mich höchst ungewöhnliche Angst vor der Dunkelheit. Bereits beim Gedanken daran rang ich nach Luft. Aus dem Bauch heraus wusste ich eindeutig etwas, doch ich wagte nicht, daran zu rühren oder es an die Oberfläche zu holen - nicht in tausend Jahren! »Du hast die flüchtigen Schatten vor den Bäumen gesehen«, sagte Don Juan, setzte sich wieder und lehnte sich im Sessel zurück. »Das ist gut. Aber ich möchte, daß du sie hier siehst. Du siehst überhaupt nichts. Du nimmst nur flüchtige Eindrücke wahr. Dafür hast du genug Energie.«
    Ich hatte Angst, Don Juan würde trotzdem aufstehen und die Lampen ausschalten. Er tat es. Zwei Sekunden später schrie ich, so laut ich konnte. Ich erhaschte nicht nur einen kurzen Blick auf die flüchtigen Erscheinungen. Ich hörte sie in meinen Ohren summen. Don Juan krümmte sich vor Lachen, während er das Licht wieder einschaltete.
    »Was für ein launischer Junge!« sagte er. »Einerseits bist du ein absoluter Ungläubiger, aber dann wieder bist du durch und durch ein Pragmatiker. Du musst diesen inneren Streit beilegen. Sonst wirst du dich noch wie eine große Kröte aufblasen und platzen.« Don Juan ließ nicht locker. Er bohrte den Stachel tiefer und tiefer. »Die Zauberer im alten Mexiko«, sagte er, »haben den Räuber gesehen. Sie nannten ihn den Flieger, weil er durch die Luft springt. Es ist kein schöner Anblick. Er ist ein großer undurchdringlicher Schatten, ein schwarzer Schatten, der durch die Luft hüpft. Danach landet er flach auf der Erde. Den Zauberern im alten Mexiko war sehr unwohl bei dem Gedanken daran, wann er auf der Erde aufgetaucht sein mochte. Sie kamen zu dem Schluß, daß der Mensch zu einem bestimmten Zeitpunkt ein vollständiges Wesen gewesen sein muss, mit erstaunlichen Erkenntnissen, Verstandesleistungen, die heute mythologische Legenden sind. Und dann scheint all das verschwunden zu sein, und nun haben wir einen sedierten Menschen.«
    Ich wollte wütend werden, Don Juan als

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