Das Wispern der Angst: Thriller (German Edition)
was er wollte.
Der Winter war nach Neujahr eingefallen, es war eiskalt geworden, und die Vögel waren dankbar für alles Essbare, was sie noch erreichen konnten.
In der Küche duftete es nach Zwiebeln und überbackenem Käse. Montags gab es bei Winters seit September traditionell Pizza zum Mittagessen. Kim hatte nach der vierten Stunde frei und musste erst wieder um zwei in der Schule sein, und Jennas Arbeit begann ebenfalls erst nach dem Mittagessen. Jenna stand auf, schnitt die Pizza in Stücke und reichte Kim einen Teller.
»Wir essen erst mal was. Und dann reden wir weiter.«
»Hab keinen Hunger.«
Das reichte, um Jenna endgültig explodieren zu lassen. Die mühsam unterdrückte Wut über die Haltung ihrer Tochter und ihre Noten – von denen sich diese mageren drei Punkte an ein paar vorhergehende anschlossen – brodelte in ihr hoch. »Dann schaust du mir eben zu, meine Liebe. Ich habe nämlich Hunger. Vom Arbeiten. Um das Geld zu verdienen, damit Miss Kim sich das nächste Smartphone leisten kann.«
Sie ballte die Fäuste um das Besteck und funkelte Kim an. »Während meine Tochter in der Schule auf cool macht. Verdammt, Kim, was ist los mit dir? Das ist die dritte verhauene Klausur in Folge. Herzlichen Glückwunsch! Wenn du so weiter machst, kannst du dein Abi vergessen. Legst du es darauf an?«
Kim schwieg und schaute weiter aus dem Fenster. Es schien, als habe sie ihr Gehör auf Durchzug geschaltet, was sie immer tat, wenn ihre Mutter sich über irgendetwas beklagte oder die Vorwurfstirade abfeuerte. Und das geschah in letzter Zeit häufig.
Jenna wiederum hatte das Gefühl, als lebte sie in einem immerwährenden Streit mit ihrer Tochter, nur unterbrochen von kurzen gefechtsfreien Phasen mitten in der Nacht.
Sie atmete tief durch und nahm einen Bissen von ihrer Pizza. Plötzlich stutzte sie. Das Stück, das sie in der Hand hielt, war mit Schinken und Zwiebeln belegt. Sie schnupperte prüfend – tatsächlich, von der Pizza stieg ein seltsamer Geruch auf, süßlich zuerst, dann stechend, irgendwie faulig. Sie würgte und ließ das Stück auf den Teller fallen. »Was ist das denn?«, fragte sie angeekelt – der Appetit war ihr vergangen. »Ist der Schinken schon hinüber? Riechst du mal?« Sie hielt Kim den Teller hin.
Die nahm ihn entgegen, schnupperte an der Pizza und zuckte mit den Schultern. »Riecht okay«, sagte sie ungerührt.
Jenna schüttelte den Kopf. »Das war’s. Ich werfe sie in den Müll. Das Letzte, was ich jetzt noch brauche, ist ein verdorbener Magen.« In einem Zug leerte sie das Glas Wasser, das vor ihr stand. Dann erhob sie sich, nahm die Teller vom Tisch und räumte alles in die Spülmaschine. Langsam drehte sie sich um und lehnte sich gegen die Küchenzeile, fixierte Kim.
Kim blieb sitzen, funkelte ihre Mutter an, sagte keinen Ton und bot das Bild eines Teenagers in pubertärer Protesthaltung. Jenna rollte mit den Augen. Aber sie konnte ihre Tochter verstehen. Kim war ihr so ähnlich. Rein äußerlich sowieso, beide waren groß und schlank, hatten blaue Augen und langes, dunk les Haar, wobei sich bei Kim widerspenstige Locken zeigten. Doch auch in ihrem Charakter glichen sie sich. Jennas Durchsetzungsvermögen, ihr unbedingter Wille, etwas zu erreichen, hatten ihr geholfen, die Zeit, in der sie sich allein um Kim küm merte, zu überstehen. Kim war stur wie ein Esel, wenn sie sich für etwas entschieden hatte. Leider bündelte sie ihre Dickköpfigkeit auf Dinge, die man hätte diplomatisch lösen oder mit etwas Lerneifer einfach hätte umgehen können.
Das war zumindest Jennas Meinung.
Sie trank ein zweites Glas Wasser, um Zeit zu gewinnen. »Ich muss nachher zurück ins Büro, und du musst Hausaufgaben machen«, sagte sie dann in ruhigem Ton. »Aber wir können uns vielleicht heute Abend unterhalten?«, machte sie ein Verhandlungsangebot. »Was deine Noten betrifft, müssen wir eine Lösung finden.«
Kim zog die Brauen hoch. »Ich treffe mich heute Abend aber mit Simone. Wir wollen noch ins Extreme.«
»Ich habe mich wohl verhört«, fauchte Jenna, das Kinn kamp feslustig vorgestreckt. »Das kannst du vergessen. Bis wir einen Weg gefunden haben, deine Noten zu verbessern, wirst du abends nicht mehr weggehen. Klar so weit?«
»Das kannst du nicht machen«, fuhr Kim wütend auf.
»Ich kann«, gab Jenna ungerührt zurück. »Und ich werde. Verlass dich drauf.«
»Aber wir haben …«
»Vergiss es«, unterbrach Jenna sie. »Du gehst nirgendwohin. Wenn du Simone
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