Das Wispern der Angst: Thriller (German Edition)
da ist noch etwas, Lagardère! Sie ist meine Hofdame, meine! Und Ihr wurdet gesehen!« Marie schlug mit der Hand auf den Tisch und brachte den Stapel Papier vor ihr, den sie gerade durchsah, gefährlich ins Wanken. »Ihr könnt und werdet sie nicht haben. Sie wird in sechs Wochen Guy de l’Arronge heiraten, und dies wird eine äußerst erfreuliche, um nicht zu sagen, einträgliche und erfolgreiche Verbindung werden. Punktum! Schlagt sie Euch aus dem Kopf.« Marie wedelte mit der Hand, als würde sie eine lästige Fliege verjagen. Außerdem klang sie nicht danach, als würde sie einen Widerspruch akzeptieren. »Es tut mir leid, Lagardère, aber ich denke nicht daran, diese Heirat abzusagen.«
Der junge Mann senkte den Kopf. Da war einiges, was er der Prinzessin nicht gesagt hatte. Er liebte Sophie, und seine Gefühle wurden erwidert. Hinzu kam, dass er und Sophie bereits weit über das Stadium der scheuen Blicke hinaus waren, und Guy de l’Arronge in der Hochzeitsnacht eine böse Überraschung erwartete … Sophie Solanger war eine der Hofdamen von Marie de Bourbon, neunzehn Jahre alt, kein Kind von Traurigkeit, fröhlich, mit einer Flut rotblonder Locken und anderen sehr weiblichen Attributen gesegnet und außerdem bis über beide Ohren in den Sekretär ihrer Prinzessin verliebt.
Und keine Jungfrau mehr …
Lagardère, nur wenige Jahre älter als seine Angebetete, stand seit sechs Monaten im Dienst der Bourbonenprinzessin. Der aufgeweckte junge Mann hatte vor geraumer Zeit mit diplomatischem Scharfsinn und unkonventionellen Vorschlägen ihre Aufmerksamkeit auf sich gezogen, und es hatte nicht lange gedauert, bis die kluge Strategin nicht mehr auf die Dienste Lagardères verzichten wollte. Dessen Fähigkeit, blitzschnell zu kombinieren und selbst in den unvorteilhaften Situationen die beste Verhandlungsposition zu erkennen, machte ihn für die mögliche zukünftige Königin Frankreichs zu einem unentbehrlichen Mitarbeiter. Versonnen musterte sie den jungen Mann. Lagardère war groß und schlank, mit ebenmäßigen Zügen, die dunklen Haare fielen ihm in die Stirn, und seine grünen Augen blitzten meist ironisch. Dass die Damen des Hofes sich reihenweise Luft zufächelten, wenn er an ihnen vorbeiging, kam Marie insgeheim durchaus entgegen. Es ging nichts über Hofklatsch, aus dem man die wichtigsten Informationen herausfilterte.
Marie de Bourbon seufzte. In der letzten Zeit schien Lagar dère seine Unbestechlichkeit abhandengekommen zu sein: Mademoiselle Solanger hatte ihm den Kopf verdreht. Oder er ihr, wie auch immer. Sophie war eine adelige Waise, nur mit knapper Not dem Schwarzen Tod, der vor einigen Jahren ganze Landstriche entvölkert und ihre Familie ausgelöscht hatte, entkommen. Vielleicht kam ihre unbändige Lebenslust daher.
Marie senkte den Kopf und blickte sinnend auf die Nachricht vor ihr. Lagardère wartete niedergeschlagen und sah sich, wie schon so oft, in dem großen, sparsam, aber erlesen möblierten Raum um. Marie de Bourbon legte Wert auf ganz bestimmte, ausgesucht feine Dinge. Das galt für Informationen, Schmuck und Männer.
In dieser Reihenfolge.
Die Novembersonne leuchtete mit letzter Kraft schräg in die großen Fenster im ersten Stock des königlichen Palastes. Ein vorwitziger Sonnenstrahl fiel einen Augenblick lang auf die Perücke der Prinzessin, die sie trotz ihrer jungen Jahre – sie war gerade dreißig geworden – trug. Lagardère ließ sich von dem friedlichen Bild nicht täuschen. Mochte auch König Ludwig XIII . die Krone tragen, die wirkliche Macht in Frankreich saß auf der anderen Seite des Palastes – das Gottesgnadentum war nur so lange gnädig, wie es dem Ersten Königlichen Minister, Kardinal Richelieu, gefiel. Jeder wusste das. Richelieu war der gefährlichste Mann im Reich, und sein Wirken ging weit über die Grenzen Frankreichs hinaus. Dass er seit Jahren auf verschiedenen Todeslisten stand, kümmerte ihn wenig. Zahlreiche ehemalige Beamte, die er mit einem Federstrich ihrer Macht und ihres Einflusses auf den König beraubt und in den Ruhestand oder die Verbannung geschickt hatte, wünschten nichts mehr als seinen plötzlichen Tod.
Marie und er lieferten sich seit Monaten ein Duell, aus dem bisher noch keiner als Sieger hervorgegangen war. Sie wusste, wenn sie verlor, würde sie das ihren Kopf kosten. Also hatte sie sich mit dem Comte de Chalais zusammengetan, dem Königlichen Gewandmeister – und Lagardère in ihren tollkühnen Plan eingeweiht.
Marie
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