Das Wispern der Angst: Thriller (German Edition)
befand sich nun ein halbes Dutzend Menschen darin.
Es war der Transport der Verdammten.
Wenn die Feuer Atem holten und niemand mehr schrie, war leises Schluchzen zu vernehmen, manchmal hörte man ein Gebet, doch ansonsten war es still. Die Gefangenen wussten, dass sie nicht mehr viel Zeit hatten.
Sie waren nach Augsburg gebracht worden, um zu sterben und ihr Wissen mit ins Grab zu nehmen. Viele hatten gekämpft, verzweifelt und vergebens, andere hatten rasch resigniert und stumm verloren.
Der hagere Mann traf seine Wahl, ohne genau hinzusehen. Was machte es für einen Unterschied, wer gleich drankam und wer morgen?
Die Büttel zerrten drei abgerissene Gestalten aus dem Käfig. Es gab keinen Aufschrei und keine Gegenwehr, nur ein verstohlener Händedruck, ein letztes Lebewohl. Zwei der Gefangenen wurden nachgeschleift, eine junge Frau schlurfte aus eigener Kraft zum Richtplatz. Immer wieder stolperte sie über die Lederfesseln, die um ihre Fußgelenke geschlungen waren.
Die Büttel banden die Gefangenen an vorbereitete Pfähle, schichteten Reisig und Holz um sie herum. Die junge Frau war als Letzte an der Reihe. Ihr hüftlanges schwarzes Haar war verdreckt, ein Teil davon war verkohlt, als die Folterknechte es kurzerhand angezündet hatten. Die junge Frau hatte keinen Laut von sich gegeben. Nur ihre grünen Augen, die nun so verächtlich blitzten, hatten sich mit Tränen gefüllt. Nicht nur ihr Haar, einst ihr ganzer Stolz, war Vergangenheit. Ihre Kleidung bestand nur noch aus Lumpen. Doch das alles hatte sie nicht brechen können, und selbst jetzt, im Angesicht des Todes, blitzte ihre wilde Schönheit durch ihren Schrecken und Schmerz.
»Ihr seid der Hexerei für schuldig befunden worden! Dafür werdet ihr brennen!« Die hasserfüllte Stimme des Hageren hallte über den Richtplatz. Damit ergriff er eine brennende Fackel, die im weichen Grasboden steckte, und hob den Arm, um seine letzte Aufgabe für diese Nacht zu erfüllen. Die Nächte wurden kürzer, und es galt, sie zu nutzen.
Die trockenen Reisigbündel fingen sofort Feuer, in Sekunden hüllte schwarzer Rauch die Verurteilten ein. Schreie gellten zum Himmel, doch niemand hörte zu.
Als sich der Hagere zufrieden abwandte, hörte er plötzlich eine klare, helle Stimme, die das Prasseln der Flammen übertönte. Es waren Worte, die ihn erstarren ließen und die sein Schicksal für alle Zeit besiegeln sollten:
»Jonathan von Keysern, ich verfluche dich über die Stunde deines Todes hinaus! Du wirst schreien, lauter als alle deine Opfer, und dafür beten, dass der Teufel dich holt. Denn er wird der Einzige sein, der dir bleibt.«
Teil I Der Ruf
Teil I
Der Ruf
1
Montag, 30. Januar
»Das kann doch nicht wahr sein!« Jenna Winters saß am Küchentisch und starrte ungläubig ihre Tochter an.
Kim, siebzehn Jahre alt und der personifizierte Widerspruch auf zwei Beinen, stand mit trotzigem Gesichtsausdruck vor ihrer Mutter und hielt ein paar zusammengeheftete Blätter in der Hand. Auf dem Deckblatt schimmerte eine rote Drei. »Ich hab die Klausur verhauen, na und? Du sollst auch nur unterschreiben, dass du sie gesehen hast. Die Berger will das so.« Bei der Erwähnung ihrer Lehrerin verzog Kim verächtlich den Mund.
»Unterschreiben?«, wiederholte ihre Mutter wütend. » Nur unterschreiben? Mademoiselle, ich glaube, mir geht gleich der Rest meiner Geduld flöten. Nächste Woche haben wir beide einen Termin bei dir in der Schule, das schwöre ich dir. So geht’s nicht weiter.«
»Kannst du jetzt unterschreiben?«
»Kann ich, will ich aber eigentlich nicht.«
Kim zuckte die Achseln. »Dann halt nicht …«
Jenna zog ihr das Blatt aus der Hand und kritzelte ein paar Buchstaben darauf. Dann reichte sie es wortlos an Kim zurück.
»Kann ich jetzt gehen?«
»Nein, das kannst du nicht. Setz dich.« Jenna wies auf den Platz neben sich.
Kim gehorchte widerwillig. Sie ließ sich auf die Eckbank sinken, verschränkte die Arme vor der Brust und sah an ihrer Mutter vorbei aus dem Fenster. Die Linde draußen im Hof streckte ihre kahlen Äste in den grauen Himmel, zwei Spatzen hüpften aufgeregt auf einem der Zweige hin und her. Sie pickten an den Meisenknödeln, die Jenna vor einigen Wochen auf gehängt hatte, indem sie sich todesmutig über das Balkongeländer gelehnt hatte. Der Hausmeister hatte von unten ungläubig zum vierten Stock hochgeschaut und den Kopf geschüttelt. Aber wer die Miete hier im Münchner Westend zahlte, der durfte mit seinem Leben machen,
Weitere Kostenlose Bücher