Das Wispern der Angst: Thriller (German Edition)
erste Tasse Tee gebracht hatte. Nach einer Pantomime der Verzweiflung hatte er das Gebräu wortlos in die Spüle gekippt und Jenna in die hohe Kunst des Teekochens eingeweiht.
Es hatte eine ganze Woche gedauert, ehe er sie den Tee allein zubereiten ließ, ohne ihr über die Schulter zu sehen oder ihr kopfschüttelnd auf die Finger zu klopfen.
Jenna brauchte diese Arbeit und fand diese Spleens im Übrigen eher amüsant denn lästig. Klaus und Rainer hatten davon noch einige andere kultiviert, die allerdings die Arbeit in der Agentur farbenprächtiger und unterhaltsamer machten. Außer dem ließ sich Jenna von ihren beiden schwulen Chefs gerne bemuttern. Sie hatten beim Vorstellungsgespräch Jenna zu ihrem englisch klingenden Vornamen befragt und herzlich gelacht, als Jenna erklärt hatte, dass sie mit drei Vornamen gesegnet worden war, von denen »Jenna« die einzig erträgliche Variante sei. Was übrigens dazu geführt habe, dass sie ihre Tochter mit einem, nur einem, und zudem kurzen Namen bedacht hatte, den niemand verballhornen konnte.
Abgesehen von den kleinen Marotten der beiden war es die beste Arbeitsstelle, die Jenna sich vorstellen konnte. Sie war zeitlich flexibel, konnte notfalls auch zu Hause arbeiten und mit dem, was ihre Chefs von ihren abendlichen Runden durchs Viertel erzählten, hätte man zwei Romane und ein paar Ratgeber füllen können.
»Guten Morgen!«, rief sie, auch wenn es schon nach zwei Uhr war, und stieß die Tür auf. Klaus und Rainer erschienen normalerweise erst gegen ein Uhr mittags, »kurz nach dem Frühstück«, wie Klaus einmal präzisiert hatte und damit jedem Klischee recht gegeben hatte, das über Kreativ-Duos wie ihn und Rainer verbreitet wurde.
»Morgen«, tönte es zweistimmig über den Gang. Vergangenes Wochenende hatte ein Putztrupp das Parkett bearbeitet, und so roch es immer noch durchdringend nach Orangenöl. Jenna musste niesen.
Gleichzeitig vibrierte ihr Handy in der Manteltasche. Jenna runzelte die Stirn, als sie die Nachricht las. Muss mit dir reden. Komme kurz im Büro vorbei. Bis gleich, Alex.
Alex … ach Gott, Alex, dachte sie seufzend. Der auch noch …
Sie betrat ihr Büro, ein gut fünfzehn Quadratmeter großer Raum mit einer hohen Decke, knipste die Stehlampe in der Ecke an, öffnete das Fenster und ließ die eiskalte Luft herein. Alex war ihr Ehemann, genauer, ihr Immer-noch-Ehemann, von dem sie nun seit fast drei Jahren getrennt lebte. Sie hatten fünfzehn gemeinsame Jahre gehabt, dann hatte Jenna all ihren Mut zusammengenommen und war mit Kim ausgezogen. An langen Abenden, wenn wieder einmal die Winterdepression von der Frühjahrsmüdigkeit abgelöst wurde, war sie oft nicht mehr so sicher, ob es die richtige Entscheidung gewesen war. Sie hatte Luft zum Atmen gebraucht, mehr Luft, als er ihr ließ. Die Leidenschaft war irgendwann verloren gegangen, das Interesse am anderen erloschen. Doch nach der Trennung war die Vertrautheit geblieben, und keiner von ihnen war eine neue Beziehung eingegangen. Auf eine seltsam distanzierte Art waren sie zwar keine Geliebten mehr, aber immer noch Freunde. Vielleicht bessere als früher …
Jenna ließ sich in den Schreibtischsessel fallen und fuhr in Gedanken versunken ihren Computer hoch. Wäre Kim auch mit einem Vater im Haus so widerspenstig, dachte sie, während sie kurz die Aufgaben durchging, die Rainer, zuständig für die Planung in der Agentur, in ihrem Outlook-Kalender gespeichert hatte. Für die nächsten Tage war sie voll ausgelastet, das war absehbar. Keine Abende mit den Mädels. Im Gegenteil. Heute Nachmittag würde sie sich an die dritte Version ihrer Präsentation machen müssen. Seit Tagen bastelte sie daran, doch der Kunde entschied sich regelmäßig einmal pro Woche anders. Sein »Könnten wir nicht vielleicht hier …?« oder »Glauben Sie nicht, dass …« raubten ihr inzwischen den letzten Nerv. Aber da er bezahlte, tat sie ihm zähneknirschend den Gefallen und warf wieder einmal alles um.
Das Parkett im Flur quietschte, und Schritte waren zu hören. Dann klopfte es an ihre halb offene Tür.
»Jenna?«
Jenna sah hoch und lächelte verhalten, als sie Alex erkannte. Er stand unschlüssig an der Tür, das braune Haar fiel ihm in die Stirn, und er wickelte den dunkelgrün gemusterten Fleece-Schal ab, den er im Winter immer trug.
»Alex! Du bist schon da? Komm rein!« Jenna räumte rasch ein paar Bücher von ihrem Gästestuhl und schloss das Fenster. »Setz dich.« Sie sah ihn abwartend
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