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Das Wörterbuch des Viktor Vau

Titel: Das Wörterbuch des Viktor Vau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerd Ruebenstrunk
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seinem Fahrer ein Zeichen, noch einmal um den Block zu fahren. Auf der Rückseite des Polizeireviers lagen das kleine Untersuchungsgefängnis und der Justizpalast des Viertels. Er wusste, dass sie über mehrere unterirdische Gänge alle miteinander verbunden waren.
    Die ersten Regentropfen prasselten auf das Autodach. Er befahl seinem Fahrer, anzuhalten. Mit schnellen Schritten eilte er zum Eingang des Gerichtsgebäudes. Bevor es richtig zu schütten begann, stand er bereits in der gefliesten Halle mit ihrem Geruch nach gebohnerten Treppen, Desinfektionsmittel und staubigen Akten. Ein Justizwachtmeister schob mit einem Rollkarren voller vergilbter Aktendeckel vorbei, die alle prall gefüllt waren und von dicken Gummibändern zusammengehalten wurden. Kein Wunder, dass die Justiz so ineffektiv war, wenn sie immer noch mit den Methoden des zwanzigsten Jahrhunderts arbeitete, dachte Rupert. Er hatte selbst einmal kurz erwogen, die juristische Laufbahn einzuschlagen, sich aber nach einem halben Semester sofort wieder davon verabschiedet.
    Warum, das wusste er, wenn er sich hier umschaute. Das Justizwesen war eine hermetisch abgeriegelte Welt, die nicht viel mit der Wirklichkeit zu tun hatte. Wer in sie eintrat, der musste sich auf die ganz speziellen Spielregeln einlassen, die dort galten, und wer das nicht konnte, der lief Gefahr, sich schnell in den labyrinthischen Seitenwegen des Systems zu verlieren und den Ausgang nicht mehr zu finden.
    Rupert hingegen hatte fest vor, den Ausgang umgehend nicht nur ausfindig zu machen, sondern auch zu benutzen. Er lief die Treppe zum Kellergeschoss herab, bog unten nach links ab und stieß schon nach wenigen Metern auf einen Quergang. Ein Hinweisschild an der Wand gegenüber trug die Aufschrift »Polizei«. Rupert nickte befriedigt und folgte dem Weg, der allerdings jäh an einer verschlossenen Tür endete.
    Auch das gab es nur noch im Reich der Rechte, dachte Rupert. Keine hochmodernen Keypads oder Fingerabdruckleser, sondern einfache Türen mit Schlüssel. Wie bei den Akten war hier auch bei der Technologie die Zeit stehen geblieben.
    Nachdem auch mehrfaches Rütteln und Klopfen keine Reaktion von der anderen Seite brachte, wollte er schon umkehren. Er war bereits mehrere Schritte von der Tür entfernt, als er hörte, wie sich ein Schlüssel im Schloss drehte. Sofort machte er kehrt.
    Â»Haben Sie geklopft?«, fragte die kleine Frau, die die Tür einen Spalt geöffnet hatte. Ihre Augen waren hinter dicken Brillengläsern verborgen.
    Â»Vielen Dank!«, rief Rupert, stieß die Tür auf und eilte an der verblüfften Frau vorbei die Treppe hoch. Ein siegesgewisses Lächeln umspielte seine Lippen.
    Als er im Saal, in dem die Pressekonferenz stattfinden sollte, eintraf, öffnete ein Beamter gerade die Tür nach draußen. Bevor die ersten regendurchtränkten Kollegen in den Saal gedrängt waren, hatte Rupert bereits seinen Platz in der vordersten Reihe eingenommen.
    Er genoss die neidvollen Blicke seiner Kollegen, von denen ihn die meisten ignorierten. Nur ein paar Nachwuchsreporter kamen zu ihm, um ihn zu grüßen. Sie hatten noch Träume und konnten sich vorstellen, einmal selbst so erfolgreich zu sein wie er. Vielleicht war es auch einfach eine Frage der Moral, dachte Rupert. Die junge Generation hatte nicht mehr viel am Hut mit der Journalistenethik der alten Hasen, und er war ihr Vorbild dabei, wie man diese Ethik über Bord warf.
    Es dauerte noch zehn Minuten, bis Fellner den Saal betrat. Begleitet von zwei Beamten, nahm er auf dem kleinen Podium Platz, das mit einem einfachen Tisch und drei Stühlen bestückt war. Wenn er erstaunt war, Rupert in der ersten Reihe zu sehen, dann zeigte er es nicht.
    Fellner war ein hagerer Mann, dessen eh schon schmales Gesicht durch den Druck der vergangenen Tage noch schmaler geworden war. Die nachlässig gekämmten etwas zu langen Haare und das zerknitterte Hemd unterstrichen noch den Eindruck, dass der Mann unter hohem Stress stand. Ein Stress, zu dem nicht zuletzt Rupert mit seinen Artikeln beigetragen hatte. Er wusste, dass Fellner zudem Druck vom Innenministerium bekam, das den Fall so schnell wie möglich aufgeklärt sehen wollte. Allerdings wurde er noch durch die komplexe bürokratische Struktur des Polizeiapparates geschützt, die eine schnelle Änderung der Zuständigkeiten verhinderte.
    Der Kommissar pochte gegen das Mikrofon, und im Saal

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