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Das Wörterbuch des Viktor Vau

Titel: Das Wörterbuch des Viktor Vau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerd Ruebenstrunk
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anders.
    Nach allem, was er bei seinen Beobachtungen herausgefunden hatte, war sie eine Ärztin oder etwas Ähnliches. Sie arbeitete in einer Klinik am Rand der Stadt. Neben ihrer Arbeit unterhielt sie nur wenig Kontakte. Sie traf sich ab und zu mit zwei jungen Männern, aber nicht, um irgendwelche unzüchtigen Verrichtungen vorzunehmen. Die drei unterhielten sich, gingen spazieren oder saßen in Buchläden und diskutierten miteinander.
    Und dann war da noch ihre Beziehung zu jemandem, den er gut kannte, ja, den er sogar als seinen einzigen Freund bezeichnen würde. Das wunderte den Floristen am meisten. Konnte es sein, dass die Frau einem geheimen Plan folgte, mit dem sie seinen Freund ins Verderben stürzen wollte?
    Eine andere Erklärung für seinen Auftrag konnte er nicht finden. Er schob die Fotos wieder zusammen und steckte sie ein. Außer ihm waren nur noch wenige Besucher im Park. Ein paar Büroangestellte befanden sich auf dem Weg nach Hause, und die letzten Mütter waren gerade dabei, den Sandkasten zu räumen und mit ihren Kindern heimzugehen.
    Der Florist erhob sich. Viel Zeit blieb ihm nicht mehr. Er musste lediglich einen geeigneten Moment abpassen.
    Mit gleichmäßigen, schnellen Schritten lief er zu seinem Fahrzeug zurück.
    2.
    Die Arbeit im Bistro zog sich heute endlos hin.
    Inzwischen war es kurz vor zehn, und der Publikumsandrang ließ immer noch nicht nach. Enrique balancierte mit einem Tablett voller leerer Gläser durch die Menge, die sich vor dem Tresen drängte. Christian brachte gerade wieder fünf Teller mit Essen hinaus.
    Er war ein merkwürdiger Mensch. Sie arbeiteten jetzt seit etwa zwei Monaten zusammen, und noch immer wusste Enrique so gut wie nichts über ihn. Christian schien keine Familie zu haben und den größten Teil seines Lebens im Bistro zu verbringen. Sie sprachen zwar miteinander, aber es waren lediglich Belanglosigkeiten, die das Wetter oder eine der Schlagzeilen des Tages betrafen.
    Der Zapfer schob ihm ein volles Tablett hin. Enrique wischte sich die Finger an der Hose ab und nahm die Gläser auf. Vorsichtig bahnte er sich seinen Weg durch die herumstehenden Gäste, die auch den Raum zwischen den Tischen füllten, bis er die Tür erreicht hatte. Draußen war es deutlich einfacher, die Getränke zu servieren, und bereits fünf Minuten später stand er wieder an der Theke.
    Während er darauf wartete, dass der Zapfer die nächste Runde zusammenstellte, glitt sein Blick durch den Raum. Er wollte sich gerade umdrehen, um das neue Tablett entgegenzunehmen, als er stutzte. Der Mann, der in der Ecke am Tisch saß, kam ihm bekannt vor.
    Obwohl es ein kleiner Tisch war, hatte sich eine fünfköpfige Gruppe darum versammelt. Enrique erinnerte sich, dass der Mann zunächst allein dort gesessen hatte und die anderen später dazugekommen waren. Seinem Verhalten nach hatte er nichts mit ihnen zu tun. Er hatte seinen Stuhl etwas zurückgeschoben und nahm an ihrem lebhaften Gespräch nicht teil.
    Enrique überlegte, wann und wo er den Mann schon einmal getroffen hatte, wollte aber nicht darauf kommen. Auf jeden Fall hatte es nichts Gutes zu bedeuten. Ihm war von Anfang an klar gewesen, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis die Sicherheitsdienste auch ihn ins Visier nehmen würden. Schließlich war er zusammen mit Viktor Vau gesehen worden und unterhielt zudem engeren Kontakt zu Vaus Assistentin.
    Enrique war zwar noch nicht länger als ein Jahr in der Stadt, hatte aber schon genug erfahren, um zu wissen, dass mit den Sicherheitsdiensten nicht zu spaßen war. Ausgerechnet er, der große Befürworter der staatlichen Ordnung, musste sich mittlerweile Gedanken darüber machen, wie er sich dem Zugriff der Staatsorgane entziehen konnte. Aber durch die Unterstützung Viktor Vaus und den Besuch bei den Anarchisten hatte er sich verdächtig gemacht. Also musste er Vorkehrungen treffen, um Vaus Notizbuch zu schützen.
    Erneut warf er aus den Augenwinkeln einen Blick auf den Mann und begann an seiner ursprünglichen Annahme zu zweifeln. Das Gesicht wies zwar Züge auf, die ihm vertraut vorkamen, aber er kannte den Mann nicht. Diese Déjà-vus erlebte er häufiger. Es hatte wahrscheinlich mit den vielen Gesichtern zu tun, die er täglich sah.
    Allerdings bestärkte diese Erkenntnis seinen Verdacht nur noch. Denn obwohl er den Mann nicht kannte, beobachtete dieser ihn, dessen war

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