Das Wörterbuch des Viktor Vau
Vau.«
»Interessant.« De Moulinsart legte die Finger zusammen und betrachtete Viktor unter halb geschlossenen Augenlidern hindurch wie eine Schlange, die sich auf ihre Mahlzeit freut. »Soweit wir wissen, kommt diese Nachricht aus unserer Zukunft. Ich frage mich natürlich, warum unsere Nachkommen Sie umbringen lassen wollen. Sie doch sicher auch, Professor?«
Also erzählte Viktor. Er berichtete nicht nur von der Botschaft und dem, was er verstanden hatte, sondern auch von den Ãberlegungen, die sich daran angeschlossen hatten. »Das ist natürlich zu einem groÃen Teil Spekulation. Genaueres werden wir erst wissen, wenn wir die gesamte Nachricht entschlüsselt haben.«
De Moulinsart machte ein skeptisches Gesicht, das sich während des Berichts mehr und mehr verfinsterte.
»Kommen Sie, Professor, das ist doch blanker Unsinn!«, rief er, als Viktor geendet hatte. »Sie wollen mir doch nicht weismachen, dass die Ursache all dessen, was geschehen ist, in einer von Ihnen erfundenen Kunstsprache liegt!«
»Es scheint aber die Wahrheit zu sein«, beharrte Viktor müde.
»Dann frage ich mich, warum sich zwei bewaffnete Männer vor Ihrer Wohnung aufhielten.«
Viktor starrte sein Gegenüber verblüfft an. »Davon weià ich nichts.« Zugleich musste er wieder an Leslie denken, die ihm bei der Flucht aus Dagombé geholfen hatte. War die Ãberwachung seines Unterschlupfes das Werk desselben unbekannten Beschützers? Und wenn ja, woher wusste er von der konspirativen Wohnung?
»Wir haben die Männer identifiziert. Es handelt sich um Profis, nicht um irgendwelche billigen Detektive. Solche Leute kosten Geld. Viel Geld. Und ich nehme zu Ihren Gunsten an, dass Sie nicht einmal wüssten, wo Sie solche Männer anwerben sollten. Also, wer beschützt Sie? Und warum? Niemand gibt so viel Geld aus nur wegen einer fiktiven Sprache.«
Viktor massierte sich die Nasenwurzel, um sich besser zu konzentrieren. Die bohrenden Fragen seines Gegenübers und die vielen Stunden ohne Schlaf brachten ihn an den Rand der Verzweiflung.
»Ich kann Ihnen nur noch einmal versichern, dass ich nichts davon weië, wiederholte er.
De Moulinsart schwieg. Viktor rieb sich die Augen. Er war am Ende seiner Kräfte. Sein Gegenüber schien das zu merken.
»Sie sollten etwas schlafen, bevor wir weiterreden, Professor Vau. Ich habe ein Zimmer für Sie vorbereiten lassen.«
Er erhob sich. Auch Viktor stand auf. Er schwankte leicht und stützte sich an der Sessellehne ab. Dann folgte er de Moulinsart zur Tür.
»Dennoch habe ich eine weitere Frage, Professor. Dieses Notizbuch, in dem Sie Ihre Sprache festgehalten haben â wo befindet es sich?«
»Ich habe es einem Bekannten zur Aufbewahrung gegeben«, erwiderte Viktor, ohne lange zu überlegen. Er hatte einen Zustand erreicht, in dem ihm alles gleichgültig war. Er wollte nur noch schlafen.
»Einem Bekannten also. Und wer bitte ist dieser Bekannte?«
»Er ist Kellner in dem Bistro, in dem ich immer zu frühstücken pflege. Sein Name ist Enrique da Soza.«
»Vielen Dank, Professor Vau. Wir reden später weiter.«
De Moulinsart hielt ihm die Tür auf und geleitete Viktor hinaus.
4.
Der bärtige Mann, der am späten Abend Thuras kleinen Buchladen betrat, trug die schlichte Kleidung eines Arbeiters: einfache Leinenhose, eine dunkle Leinenjacke und eine Baseballmütze mit dem Logo einer groÃen Mobilkranmarke darauf. Er war zweimal an dem Geschäft vorübergegangen, um herauszufinden, ob er verfolgt wurde. Dann zog er sein Mobiltelefon hervor und führte ein kurzes Gespräch. Er sah von der anderen StraÃenseite, wie die Tür des Buchladens sich einen Spalt öffnete, überquerte die StraÃe und verschwand im Inneren. Ein junger Mann, den er hier noch nie gesehen hatte, wartete hinter der Tür auf ihn.
»Ich heiÃe Marek«, strahlte er den Neuankömmling an. »Willkommen in der Stadt.«
Der Mann runzelte die Stirn. Er hatte Thura immer und immer wieder darauf hingewiesen, wie wichtig es war, ihre Treffen geheim zu halten. Dieser Marek war jetzt schon der vierte, der sein Gesicht kannte.
Statt einer Antwort brummte er etwas Unverständliches vor sich hin, was den jungen Mann allerdings nicht zu stören schien. Marek führte ihn durch das Büro in den Fabrikflur und dort zu einem Raum hinter der Cafeteria.
Thura
Weitere Kostenlose Bücher