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Das Wolkenvolk 03 - Drache und Diamant

Das Wolkenvolk 03 - Drache und Diamant

Titel: Das Wolkenvolk 03 - Drache und Diamant Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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vorsichtig einen Schritt von ihr fort, die Schräge hinauf.
    Ein so heftiges Zittern fuhr durch Balken und Dielen, dass Carpi einen erschrockenen Schrei ausstieß und sofort erstarrte. Von irgendwoher ertönte ein dumpfer Laut, als ein straff gespannter Strick zerriss.
    »Sieht aus, als wäre dir der Aether keine große Hilfe!«, rief Alessia. Windböen zerrten sie gleichzeitig in mehrere Richtungen, dann gaben sie ihr einen unverhofften Stoß und schleuderten sie vorwärts. Sie verlor ihren Halt, stolperte mit zwei, drei ungeschickten Schritten die Schräge hinauf und war plötzlich nur noch anderthalb Meter vom Schattendeuter entfernt. Ihre Beinwunde brannte; wahrscheinlich war die Naht aufgeplatzt und blutete wieder.
    Genau wie er stand sie jetzt frei im Raum. Da war nichts, woran sie sich festhalten konnten. Ihr verletztes Bein drohte einzuknicken.
    Das Pferd wartete noch immer vor der Tür, hatte lediglich einen halben Schritt nach hinten gemacht. Der Dielenboden war so hoch, dass gerade noch der Kopf des Tiers durch die Öffnung hereinblickte.
    Alessia sah dem Schattendeuter an, dass er dasselbe dachte wie sie.
    Beide stolperten los, ungeachtet der Erschütterungen, die sie verursachten. Carpi hatte einen Vorsprung. Aber es war Alessias Pferd, nicht seines.
    Das Tier stieß ein schrilles Wiehern aus, als der Schattendeuter die Hand nach seinem Kopf ausstreckte. Mit einem panischen Zucken riss es das Maul auf - und schnappte nach ihm.
    Carpi schrie auf und geriet ins Schwanken.
    Im selben Moment prallte Alessia gegen ihn. Unter ihnen stöhnten die Dielen auf. Holzsplitter regneten vom Dachstuhl auf sie herab. Tausende Bücher rutschten die Schräge hinab und prasselten in den Abgrund.
    Der Schattendeuter wollte sich an ihr festhalten, doch Alessia hatte bereits nach dem Zaumzeug des Pferdes gegriffen und ihre Finger darunter verhakt.
    »Lauf!«, brüllte sie.
    Das Tier wich nach hinten zurück und vollzog dabei eine halbe Drehung. Mit einer Bewegung seines Schädels zerrte es Alessia durch die Öffnung. Ihre Wunde schrammte über die Schwelle; es fühlte sich an, als würde ihr Bein abgerissen. Dann fiel sie. Alles ging so schnell, dass sie im ersten Moment nicht wusste, ob sie in den Abgrund stürzte oder fort vom Haus. Mit einer Hand hing sie noch immer am Zaumzeug, ihr Arm wurde verdreht und fast ausgekugelt, aber dann blieben Dielenboden und Türschwelle hinter ihr zurück.
    Ein gellender Schrei ertönte, als Carpi sich hinter ihr herwarf. Seine Finger krallten sich in ihr Haar, und als sie versuchte ihn abzuschütteln, sah sie, dass er mit dem Oberkörper über der Schwelle hing, halb im Haus, halb draußen, während aus mehreren Richtungen die Laute reißender Sicherungsseile erklangen.
    Er klammerte sich noch immer an ihr Haar, auch als das Gebäude schon abwärtsrutschte. Einen Moment lang schien es, als hätte er genug Halt, um sich von ihr in Sicherheit ziehen zu lassen. Dann aber rammte sie blindlings den Ellbogen nach hinten, traf ihn im Gesicht - und war plötzlich frei.
    Das Zaumzeug entglitt ihren Fingern, sie stürzte der Länge nach zu Boden und wäre fast unter die Vorderhufe des Pferdes geraten. Aber es wich immer weiter zurück, jetzt ohne sie. Geistesgegenwärtig blickte sie nach hinten und erkannte erleichtert, dass sie gerade weit genug von dem abstürzenden Gebäude entfernt war, das jetzt wie ein Schlitten die Wölbung des Wolkenrandes hinabglitt. Car-pis Gesicht wurde im Türrahmen kleiner und kleiner. Sein Mund war weit aufgerissen, die Augen panisch verdreht, die dürren Hände tasteten rechts und links ins Leere. Unter furchtbarem Getöse rumpelte das Haupthaus des Spi-nihofes abwärts, unaufhaltsam und jetzt immer schneller.
    Der Lärm endete abrupt. Ein letztes Knarren - dann Stille.
    Das Haus war fort. Und mit ihm der Schattendeuter.
    Alessia wollte sich aufrichten, dem stürzenden Gebäude nachsehen, aber dazu fehlte ihr die Kraft. In dieser Höhe würde sie auch keinen Aufschlag hören. Nur der Wind pfiff unvermindert aus dem Abgrund herauf, zerzauste ihr Haar und blätterte in einer Handvoll Bücher, die auf dem wattig-weißen Wolkengrund zurückgeblieben waren.
    Die Schnauze ihres Pferdes senkte sich auf sie herab, berührte mit einem Stups ihre Wange. Alessia blickte zu ihm auf, sah nur verschwommen die großen dunklen Augen, die fransige Mähne und das Blitzen einer Zaumzeugschnalle im Mondschein. Sie versuchte etwas zu sagen, aber die Worte blieben ihr im Hals stecken. Nur

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