Das Wunder des Pfirsichgartens: Roman (German Edition)
hör mir zu«, sagte er. In seiner Stimme klang etwas durch, was sie an ihm nicht kannte: Sebastian war nervös.
Sie ließ sich langsam nieder, legte Notizblock und iPod weg und faltete die Hände auf dem Schoß.
Einen Moment lang blieb er vor ihr stehen, dann fing er an, unruhig auf und ab zu laufen. »In meiner Jugend habe ich nirgendwo dazugehört«, begann er schließlich. »Nicht bei mir zu Hause, und auch nicht in der Schule. Als Teenager habe ich viel Zeit in dem Diner am Highway verbracht, vor allem weil ich nicht nach Hause wollte. Dort hätte ich mich meinem Vater stellen müssen. Eines Samstags saß ich wieder einmal in der hintersten Nische. Es muss so gegen drei Uhr früh gewesen sein. Eine Gruppe von Jungs in meinem Alter kam herein und fragte nach dem Weg nach Asheville. Sie hatten sich auf dem Rückweg von irgendeiner Party in South Carolina verfahren. Sie waren laut, ausgeflippt und glücklich. Ganz anders als die Leute, die ich kannte. Einer von ihnen entdeckte mich, und es war, als hätte er ein verirrtes Mitglied seines Stamms entdeckt. Er kam zu mir und fing an, mit mir zu flirten. Seine Freunde gesellten sich zu uns. Wir tranken einen Kaffee und hatten viel Spaß. Plötzlich öffnete sich eine Tür für mich – diese Jungs nahmen mich an. Stunden später erklärten sie, sie müssten jetzt fahren, ihre Mütter wären bestimmt schon stocksauer auf sie. Aber sie sagten, wenn ich je nach Asheville käme, sollte ich mich bei ihnen melden. Sie würden jeden Nachmittag am Pack Square abhängen. Der Junge, der als Erster auf mich zugekommen war, Alex, streichelte mir über die Haare und sagte: ›Wer hätte gedacht, dass hier draußen in der tiefsten Provinz etwas so Schönes wächst?‹« Sebastian schüttelte den Kopf. »Ich glaube, die Menschen sind Herdentiere. Nun gab es endlich eine Herde für mich. Davor hatte ich nie eine.«
»Und das waren die Jungs, mit denen ich dich in dem Einkaufszentrum gesehen habe?«, fragte Paxton.
»Ja. Und der Junge, der mich geküsst hat, war Alex. Es war für mich eine ziemlich chaotische Zeit. Diese Jungs waren meine Freunde. Sie haben mich gerettet. Und irgendwie liebte ich sie. Ich liebte Alex. Aber ich bin nur einer von ihnen geworden, weil ich unbedingt irgendwo dazugehören wollte und sie mich aufnahmen. Ich wurde nicht einer von ihnen, weil ich einer von ihnen war.« Er sah sie vielsagend an. Anscheinend war sein letzter Satz sehr wichtig. Aber Paxton kapierte es nicht.
»Was soll das heißen?«, fragte sie.
»Das heißt, dass ich nicht schwul bin, Pax.«
Sie spürte, wie sich seine Worte in ihre Haut einbrannten.
»Auf dem College habe ich eine Therapie gemacht, und mein Therapeut hat mir geholfen, manches zu verarbeiten. Die besten, tolerantesten Menschen, die ich je gekannt habe, waren schwul. Aber für mich bedeutete das nur eine Ausweichlösung. Es entsprach nicht dem, was ich wirklich bin. Also fing ich an, mich mit Frauen zu verabreden, und ab und zu habe ich mich sogar in eine verliebt. Aber es hat nie funktioniert, weil keine von ihnen mich verstand. Die einen betrachteten mich als platonischen Freund, die anderen wollten mich von meinem Schwulsein kurieren. Es war eine interessante Zeit, aber keine, die ich gern wiederholen würde. Irgendwann war ich es dann einfach leid, mich ständig verteidigen zu müssen. Wie man sein Leben führt und in wen man sich verliebt, sollte man nicht verteidigen müssen. Deshalb habe ich vor etwa fünf Jahren beschlossen, meine Sexualität auszublenden. Dieser Entschluss hat mir das Leben um vieles erleichtert. Bis ich dich getroffen habe.«
Sie stand auf. Sie wollte nicht weinen, egal, wie sehr ihr danach war. »Was für ein Spiel treibst du mit mir, Sebastian? Das habe ich nicht verdient.«
Sie wollte an ihm vorbeigehen, aber er packte sie an den Armen und zwang sie, ihn anzuschauen. »Das ist kein Spiel«, sagte er mit knappenWorten – Worten, die fielen, als stürzten sie von einer Klippe.
»Aber warum erzählst du mir das alles?«
Er ließ die Hände sinken. Sie schwankte ein wenig. »Weil ich dich liebe. Das Gefühl geht sehr tief, es zermürbt mich und versetzt mich in Angst und Schrecken. Und ich weiß nicht, was ich tun soll. Ich habe mich noch nie so gefühlt wie in dem Moment, als du mich geküsst hast.«
Er hatte Angst. Das konnte sie nun deutlich erkennen. »Aber warum hast du aufgehört?«
Er raufte sich die Haare. »Weil ich immer noch überzeugt war, dass Sex gute Beziehungen nur
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