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Das Wunder von Bern - Fußball spielt Geschichte

Das Wunder von Bern - Fußball spielt Geschichte

Titel: Das Wunder von Bern - Fußball spielt Geschichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Kasza
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Welt, Mythos.
    Dem Mythos auf den Grund zu gehen, dafür hat die Medienmaschinerie nun ihre Bataillone aktiviert. Sie haben Farbaufnahmen gefunden und auch andere Einstellungen und vielleicht finden sie auch noch raus, dass Fritz Walter gedopt war. Das entbehrt nicht einer gewissen Paradoxie, denn es steht wohl zu vermuten, dass die deutsche Mannschaft auch deshalb zur Legende geworden ist, weil eben vieles um sie im Geheimen blieb und nicht in der Öffentlichkeit breitgetreten wurde. Die Helden von Bern kamen aus dem Nichts und sie verschwanden dort auch wieder. Ihre Medienpräsenz ist mit »zurückhaltend« wohl am besten beschrieben. Fritz Walter verfasste ein paar Bücher über den Chef, den Fußball und das 3:2 – der Rest schwieg. Es blieb immer eine geheimnisvolle Aura um diese Mannschaft, um ihre Verschworenheit, um ihre Zusammengehörigkeit. Und es hat ihrem Mythos auch nichts anhaben können, dass einige von ihnen im Leben abseits des Fußballs abgestürzt sind. Im kollektiven Bewusstsein blieben sie Helden.
    Eine Ära der deutschen Mannschaft im eigentlichen Sinne hat es damals nicht gegeben. Sie rauften sich nach 1950 zusammen, kämpften sich zur WM und durch die Vorrunde, bezauberten im Viertel- und Halbfinale, siegten in Bern – und verloren danach ein Spiel nach dem anderen. So lässt sich der Hintergrund des deutschen Mythos reduzieren auf 90 Minuten in Bern.
    Auch die Goldene Mannschaft wurde zum Mythos und sie hatte eine Ära. Vier Jahre dauerte sie – und endete in Bern. Obwohl sie nach dem Endspiel in fast gleicher Besetzung weiterspielten und auch gewannen, sprach niemand mehr von Goldener Mannschaft, denn ihr Zauber war verflogen.
    Dennoch erinnert man sich auch in Ungarn lieber an Siege, als an Niederlagen. Deshalb gibt es für Ungarn 50 Jahre nach Bern auch nicht viel zu feiern, bedeutete dieser Tag doch das Ende des Mythos. So verlegte man die Party ein Jahr nach vorne und gedachte ausgiebig dem Jahrhundertspiel in Wembley. Bereits zum 40. Jahrestag hatte der damalige Staatspräsident Apard Göncz den Spielern das »mittelgroße Verdienstkreuz« verliehen. Das »riesengroße« wäre es wohl bei einem Sieg in Bern gewesen.
    Und auch in Ungarn machte das Geheimnisvolle, das die Mannschaft umgab und bis heute umgibt, viel von ihrem Mythos aus. Trotz gelenkter Presse wusste man alles über die Mannschaft, oder dachte es zumindest. »Arabisches Telefon« nennt man das in Frankreich. Man wusste über den Schmuggel Bescheid und man kannte die Beziehungen der Fußballer zur Staatselite – und nach der Niederlage erfuhr selbst der kleine György Dalos weit entfernt von Budapest von den Ausschreitungen in der Hauptstadt. In Ungarn giert man auf die Filmaufnahmen, die beweisen, dass Puskás kurz vor Schluss nicht im Abseits stand. Doch auch für einen Mythos gilt: Tor ist, wenn der Schiedsrichter sagt, dass es Tor ist. Er hat es nicht getan. Die Auswirkungen gingen über den Fußball hinaus. Das Spiel wurde für Deutschland zum Wunder, für Ungarn zur nationalen Katastrophe. Und Fußball spielte Geschichte.

Zeitzeugen
    Jenő Buzánszky (Jahrgang 1925) war der einzige Spieler der Goldenen Mannschaft, der nicht bei einem Budapester Verein spielte. Insgesamt bestritt er 274 Ligaspiele, vor allem für die Mannschaft aus Dorog, wo er noch heute lebt. Der Verteidiger trug 48 Mal das Nationaltrikot und errang unter anderem 1952 die olympische Goldmedaille, war beim Jahrhundertspiel in Wembley dabei – und im Endspiel in Bern. Nach seiner Spielerlaufbahn arbeitet er als Trainer, 1996 wurde er Vizepräsident des ungarischen Fußballverbandes.
    Norbert Blüm (Jahrgang 1935). Der Politiker arbeitete von 1949 bis 1957 bei Opel in Rüsselsheim und war von 1952–1956 Vorsitzender der Betriebsjugendvertretung. Seit 1950 ist er CDU-Mitglied und politisch engagiert.
    Daniel Cohn-Bendit (Jahrgang 1945). Im Fragebogen der
Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung
beantwortete er die Frage »Welches Ereignis aus der Sportgeschichte würde Sie ändern?« mit »Das Endspiel zur Fußball-WM 1954«, »ganz einfach weil die Ungarn damals mit Abstand den besten Fußball gespielt haben«, wie der Europaabgeordnete der Grünen im Interview für dieses Buch sagte.
    György Dalos (Jahrgang 1943). Der mehrfach ausgezeichnete Schriftsteller wurde in Budapest geboren, war zeitweise Mitglied der

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