Das Wunder von Grauenfels (German Edition)
ihr nur im Hinauslaufen zu. »Keine Zeit, muss schnell noch ein paar Pötte verkaufen. Ich mach heute Vertretung, die Frauen vom Stand sind beim Kongress. Bis nachher!«
Berit und Gina schauten einander unschlüssig an. Das Telefon klingelte schon wieder.
»Wenn ihr gerade rübergehen wollt – ich komme allein zurecht.« Sybille machte Anstalten abzuheben. Sie war trotz des Samstags vorbeigekommen, um Gina und Berit zu entlasten und aufzuheitern. Im Restaurant, behauptete sie, würde wohl sowieso nicht viel zu tun sein.
»Du willst dir das wirklich antun?«, fragte Gina zweifelnd. Das erste Interesse der Presse an Stellungnahmen war weitgehend verebbt. Dafür nutzten enttäuschte und wütende Mariengläubige sowie chronische Nörgler und Perverse den freien Samstagmorgen zum Frustablassen.
»Ach, da hör ich drüber weg«, meinte Sybille unbekümmert.»Wenn sie’s zu weit treiben, lege ich auf, und ansonsten bleibe ich einfach bei der Wunderversion. Die kann ich problemlos vertreten. Ich hab schließlich eins erlebt.« Sybille lächelte verschwörerisch.
Diese Argumentation war kaum zu widerlegen.
»Den Prozessionsweg oder schnell über den Steinbruch?«, fragte Berit, als die beiden Frauen schließlich vor der Tür standen. Sie blinzelten in gleißendes Sonnenlicht. Dieser erste Samstag im Herbst präsentierte sich von der besten Seite.
»Steinbruch«, entschied Gina. »Klang schließlich dringend. Also wenn das jetzt noch mal eine spontane Sowieso ist, dann nehme ich es als göttliche Fügung …«
Im Steinbruch fiel den beiden als Erstes auf, dass die Zufahrt für die Notarztwagen hoffnungslos zugeparkt war. Kein Wunder, die hier gewöhnlich aufgestellten Wächter von der freiwilligen Feuerwehr hatte Barhaupt gestern abgezogen. Außerdem hörten sie gedämpften Gesang, der lauter wurde, je höher und schneller sie zum Erscheinungsplatz hinaufstiegen. Die übliche musikalische Vergewaltigung des »Ave Maria«.
»Ich werd verrückt«, murmelte Gina.
Der Platz vor der Quelle war angefüllt mit Pilgern. Die Menschen starrten inbrünstig ins Nichts und sangen aus voller Kehle. Igor Barhaupt schraubte an den Wasserhähnen herum, offensichtlich gab es hier einen Defekt. Die Menschen in der Schlange davor warteten jedoch geduldig mit ihren mitgebrachten oder unten in der Stadt erstandenen Gefäßen.
»Sie sind hier wegen … der Marienerscheinung?«, fragte Berit eine ältere Frau, die sich auf einem ihrer drei Wasserkanister niedergelassen hatte. Die Dame unterbrach ihren Gesang und nickte eifrig.
»Aber es heißt doch, das wäre alles Schwindel«, meinte Gina. »Die Zeitungen …«
»Diese Zeitungsschmierer!« Die Pilgerin zeterte wie vonder Tarantel gestochen. »Alles müssen sie in den Dreck ziehen. Aber nicht mit uns! Ich weiß, auf welcher Seite ich stehe. Und die anderen auch. Wir werden die Jungfrau nicht verraten. Auch wenn sie die kleinen Seherinnen jetzt weggeschickt haben. Hier ist ein Wunder geschehen. Das können die nicht wegschreiben!« Dann versank die Frau plötzlich wieder in Anbetung.
Als Gina und Berit sich abwandten, nahm sie auch ihren Gesang erneut auf. Gina und Berit liefen weiter. Am Sammelplatz für die Prozessionen, wo sich eben etwa zwanzig Pilger zum nächsten Zug formierten, gesellte sich Pastor Jaeger zu ihnen.
»Es wirft einen um, nicht wahr? Ich glaube fast, es sind mehr als vorher.«
»Es ist nicht zu glauben«, meinte Gina kopfschüttelnd.
»Falsch«, bemerkte Schwester Felicitas. Sie war tatkräftig damit beschäftigt, die Organisation des Pilgerverkehrs wieder anzukurbeln, und ließ den Frauenkongress offensichtlich gern dafür sausen. »Es ist ganz allein eine Frage des Glaubens. Solange die Leute Wunder wollen, werden auch welche passieren. Und das ist auch gut so. Tun Sie mir jetzt bitte einen Gefallen und leihen Sie mir kurz Ihr Handy, damit ich diesen Pfarrer Herberger herbeordere. Der muss nachher die übliche Samstagnachmittag-Andacht halten, sonst sind die Leute vergrätzt. Und diese Frau Martens soll auch ihre Schmollecke verlassen und sich schleunigst herbemühen. Die Leute fragen ständig nach geführten Prozessionen. Und außerdem wollte sie doch so wahnsinnig gern dieses Wochenende getauft werden. Schwester Constanze steht schon in den Startlöchern.«
Gina reichte ihr grinsend das Mobiltelefon. »Rufen Sie Frau Martens an. Aber den Pfarrer Herberger – den überlassen Sie doch mir!«
Im Büro zurück erwartete Berit und Gina eine weitere
Weitere Kostenlose Bücher