Das Wunder von Grauenfels (German Edition)
energisch den Kopf, wobei sich ein paar ihrer drahtigen roten Locken unter der Haube vorstahlen.
»So schlimm ist das gar nicht. Es hat auch keine Sekunde lang jemand daran gedacht, den Kongress abzusagen.«
Die Schwestern waren zum Treffen der feministisch gesinnten Theologinnen gekommen, das an diesem Wochenende stattfand. Die ältere Nonne, Schwester Constanze, gehörte zu den wichtigsten Rednerinnen. Trotz ständiger Reibereien mit ihrer Ordensleitung machte sie sich für die Priesterweihe für Frauen stark.
»Und was die Pilger angeht: Wenn es so gießt wie heute, ist nie was los. Bleibt zu hoffen, dass es morgen besser wird, sonst müssen wir Gummistiefel anziehen.« Schwester Felicitas nickte Gina tröstend zu.
»Unsere Wanderung zur Quelle im Rahmen des Kongresses findet auf jeden Fall statt«, erklärte auch Schwester Constanze. »Schon um zu demonstrieren, dass wir zu den Aussagen der Madonna stehen – egal, ob sie direkt erschienen ist oder das Ganze jemand anderem in die Maschine diktiert hat.«
»Aber wir haben das alles wirklich nur zur Belebung des Fremdenverkehrs gemacht …«, gestand Gina. »Es stand keine politische Absicht dahinter.«
Felicitas lachte. »Das nehme ich Ihnen nicht ab! Sie waren ganz schön sauer, als Sie rauskriegten, dass die Kirche der Jungfrau den Mund verbieten wollte. Geben Sie’s zu! Sonst hätten Sie nicht mit dem Frage- und Antwortspiel angefangen, sondern mit den Prophezeiungen weitergemacht. Damit waren Sie doch auch ganz erfolgreich, und Sie hätten sich langfristig nicht die Anerkennung durch die Kirche verspielt.«
»Die hätten wir doch sowieso nie bekommen«, meinte Gina mutlos.
Schwester Constanze schürzte die Lippen. »Das würde ich so nicht sagen. Schließlich hätte sich ja auf die Dauer noch was ändern können – irgendeine Prophezeiung, die spektakulär genau eintrat, oder eine richtige Heilung. ›Spontane Regression‹ sollte ich vielleicht lieber sagen. Dann hätten sich die Herren das noch mal überlegt. Aber so? Die erste frauenfreundliche Aussage, und es war vorbei. Das wussten Sie!«
Gina zuckte die Achseln. »Darüber haben wir gar nicht nachgedacht. Aber Sie werden wohl Recht haben. Na ja, ich wünsch Ihnen jedenfalls viel Spaß bei Ihrem Kongress. Ich hab gleich ein Interview mit einem Journalisten vom Spiegel, und Berit macht Focus. Nachher will der Stern uns beide und Igor möglichst auch noch. Bleibt zu hoffen, dass er auftaucht – und dass Frau Martens, Claudias Mutter, wegbleibt. Sie hat gestern schon haarsträubende Interviews gegeben. Inzwischenwill sie die Jungfrau persönlich im Traum gesehen haben. Wenn sie so weitermacht, verscherzt sie uns die letzten Sympathien.«
Die Reporter der diversen politischen Magazine erwiesen sich als überraschend umgänglich. Die meisten von ihnen neigten wie Ruben dazu, das Ganze von der komischen Seite zu nehmen. Vor allem Ginas Begründung, warum man die Marienerscheinung der UFO-Landung vorgezogen habe, erregte Heiterkeit. Natürlich wollten alle wissen, wo die Stadt Claudia und Sophie versteckt hielt. Die Häuser ihrer Eltern waren umlagert, aber bislang hielten alle dicht. Die Aufenthaltsorte der vorgetäuschten Seherinnen sollten so lange wie möglich geheim bleiben – auch wenn Claudia es wahrscheinlich »geil« gefunden hätte, gleich beim Eintritt in die Schauspielschule von Reportern umlagert zu werden.
»Sie haben die Mädels doch nicht wirklich um die Ecke gebracht, wie dieses Blatt hier vermutet?« Augenzwinkernd hob einer der Reporter das Abendblatt an und schaute höchst irritiert, als darunter Friederike sichtbar wurde. Der Mann zwinkerte daraufhin nochmals, schien im Geist seinen gestrigen Alkoholgenuss zu rekapitulieren und legte die Zeitung dann vorsichtig zurück.
»Natürlich nicht!«, meinte Gina heftig. »Die Mädchen sind absolut glücklich, sie besuchen Internate ihrer Wahl.«
»Und Sie können Ihren Aufenthaltsort natürlich herausfinden, wenn Sie wirklich wollen«, fügte Berit hinzu. »Sie haben da Mittel und Wege, und die Kinder sind schließlich nicht entführt worden und werden auch nicht direkt versteckt. Wahrscheinlich weiß die Hälfte ihrer früheren Mitschüler Bescheid. Aber was hätten Sie davon, wenn Sie sie aufspüren? Die zwei können Ihnen nicht mehr sagen als wir. Aber anschließend hätten sie die ganze Regenbogenpresse auf dem Hals – und die Drohbriefe, die wir hier auch kriegen.«
Berit wies auf einen Korb voller Briefe mit Anschriften wie
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