Das Wunder von Grauenfels (German Edition)
Und nach Ansicht dieses Arztes ist sie nicht der Typ, der so was genießen würde.«
»Wie etwa unsere Frau Martens …« Gina und Berit lachten gepresst.
»Diese Regressionen sind auch keineswegs unbedingt von Dauer«, gab Doktor Hoffmann weiterhin zu bedenken. »Wirklich als Spontanheilung anerkannt wird das erst, wenn es fünf Jahre anhält. Manchmal wächst nach einem Jahr oder später wieder ein Tumor, und dann ist es ganz schnell vorbei. Für die Frau hieße das, Leiden und Sterben unter Beobachtung der Regenbogenpresse. Ich würde ihr das nicht gern antun.«
Igor Barhaupt holte tief Luft. Er sah plötzlich geschafft und müde aus.
»Dann eben nicht«, sagte er leise. »Wenn ich ehrlich sein soll, ging es mir bisher schon genug an die Nieren. Diese Heilungen aufgrund unserer Schwindeleien … Sterbenskranke Leute zu betrügen ist irgendwie nicht mein Ding. Also lassen wir’s. Wäre nur zu schön gewesen. Wir hätten doch auch mal ein Wunder verdient, oder?«
Am Nachmittag desselben Tages hatte der Betrieb an der Quelle spürbar nachgelassen. Das mochte natürlich auch daran liegen, dass Frau Martens und Pfarrer Herberger die Prozessionen vorerst eingestellt hatten. Donnerstag war zudem nie einer der Hauptbesuchstage.
»Den totalen Einbruch gibt’s wahrscheinlich erst am Wochenende«, meinte Gina. »Wenn die Sache in der Bild stand und in den anderen Blättern. Die Lupe liest von unserer Klientel kaum einer. Aber morgen werden etliche Klatschblätter mit der getürkten Madonna aufmachen.«
*
Am Freitag regnete es in Strömen. Das Wetter passte zu Berits und Ginas Stimmung, nachdem sie sich durch die ersten Stapel Zeitungen durchgebissen hatten – Friederike im Übrigen im wahrsten Sinne des Wortes: Die Leguandame verspeiste die Blätter, wobei sie die Bild -Zeitung bevorzugte.
»Jetzt weiß ich endlich, was die Feng-Shui-Lehre damit meint, dass der Glücksdrache Ordnung in mein Leben bringt«, bemerkte Gina und entriss dem Reptil das Papier. »Ist zwar lieb gemeint, Fritzi, aber das hält dein Magen nicht aus.«
Wie erwartet waren die Kommentare der Regenbogenpresse niederschmetternd. Man sprach von Blasphemie und Betrug an den Pilgern, äußerte sich wortreich über den Missbrauch der armen Kinder aus Profitgründen und stellte haarsträubende Vermutungen zu Claudias und Sophies Verschwinden an. Während Gina und Berit noch nicht in der Schusslinie standen, ließen die Blätter kein gutes Haar an Igor Barhaupt. Der Provinzpolitiker wurde als Hauptschuldiger dargestellt, ein kalt berechnender Geier, dem jedes Mittel recht war, um nur seine Wiederwahl zu sichern. Igor zog es offensichtlich vor, diese Schmähungen zu Hause zu verarbeiten. Im Bürgermeisteramt ließ er sich jedenfalls vorerst nicht sehen. Dabei jagte eine Interview-Anfrage die andere, und Gina und Berit waren im Grunde dafür, möglichst alle anzunehmen.
»Schlimmer als jetzt kann es sowieso nicht mehr kommen«, argumentierte Berit am Telefon. »Und neben den Typen, die sich aufregen, gibt es garantiert Leute, die unsere Idee genial finden. Wer weiß, vielleicht liest es irgendein Industrieboss und findet, diese fitte Stadt mit ihrer flexiblen Verwaltung braucht unbedingt ein … na, was weiß ich, vielleicht eine Formel-1-Teststrecke.«
»Oder eine Endlagerstätte für Brennstäbe«, grunzte Barhaupt verkatert. Er hörte sich an, als hätte er seinen edelmütigenVerzicht auf eine Wiederbelebung des Wunders am gestrigen Abend in Klosterschnaps ertränkt. »Lasst mal, Mädchen, gebt euch keine Mühe …«
Gina hielt die gedrückte Stimmung im Büro schließlich nicht mehr aus und wanderte trotz Bindfadenregens hinauf zum Erscheinungsort. Dort herrschte, wie zu erwarten, gähnende Leere. Gina meinte, das Wäldchen noch nie so verlassen gesehen zu haben, seit sie damals zur ersten Besichtigung mit Igor Barhaupt hinaufgestiegen war.
»Das liegt daran, dass Sie sonst nie bei Regen dort heraufkommen«, tröstete sie später Schwester Felicitas.
Gina traf sie und ihre Mitschwester im Café Lohmeier, wo sie auf dem Rückweg von ihrem Spaziergang kurz einkehrte.
»Nun trocknen Sie erst mal in Ruhe, trinken einen Schluck, dann sieht schon alles ganz anders aus.« Energisch orderte die zweite, deutlich ältere Nonne Irish Coffee für alle.
»Was machen Sie überhaupt noch hier?«, fragte Gina schließlich. »Pilger gibt es schließlich nicht mehr, und Sie müssten uns doch eigentlich eher böse sein.«
Schwester Felicitas schüttelte
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