Das Zeichen der Vier
seiner Taschenlampe bisweilen Zahlen und Stichworte auf das Papier.
Am
Lyceum Theatre
standen die Leute schon dicht gedrängt vor den Seiteneingängen, und vorn rasselten in dichter Folge zwei-und vierrädrige Wagen heran und ließen Männer mit steifer Hemdbrust und diamantenbehängte, stolatragende Frauen aussteigen. Wir hatten die dritte Säule, den Ort unseres Rendez-vous, kaum erreicht, als wir auch schon von einem kleinen, kräftigen, dunklen Mann in Kutscherlivree angesprochen wurden.
»Sind Sie die Herrschaften, die Miss Morstan begleiten?« fragte er.
»Ich bin Miss Morstan, und diese beiden Gentlemen sind Freunde von mir«, erklärte sie.
Er musterte uns mit einem eigentümlich bohrenden und forschenden Blick.
»Sie müssen schon entschuldigen, Miss«, sagte er mit einem Unterton von Hartnäckigkeit, »aber ich habe den Auftrag, mir Ihr Wort darauf geben zu lassen, daß keiner Ihrer Begleiter ein Polizeibeamter ist.«
»Sie haben mein Wort darauf«, antwortete sie.
Nun stieß er einen schrillen Pfiff aus, worauf ein Gassenjunge eine Kutsche heranführte und uns den Verschlag öffnete. Der Mann, der uns angesprochen hatte, kletterte auf den Kutschbock, während wir unsere Plätze im Wageninneren einnahmen. Kaum war dies geschehen, ließ unser Fahrer die Peitsche knallen, und wir brausten los, hinein in die nebligen Straßen.
Die Situation war eigenartig: wir waren unterwegs in unbekannter Mission zu einem unbekannten Ziel. Doch wenn diese Aufforderung nicht bloß ein schlechter Scherz gewesen war, was kaum wahrscheinlich erschien, dann hatten wir allen Grund zu der Annahme, daß bei unserer Reise Entscheidendes auf dem Spiel stand. Miss Morstan verhielt sich nach wie vor entschlossen und gefaßt. Ich bemühte mich, sie ein wenig zu unterhalten und aufzuheitern, indem ich Anekdoten von meinen Abenteuern in Afghanistan zum besten gab. Ehrlich gesagt, war ich jedoch selber so aufgeregt ob unserer Situation und so gespannt auf die Dinge, die da kommen sollten, daß meine Geschichten etwas verwickelt wurden. Bis zum heutigen Tage behauptet sie, ich hätte ihr die ergreifende Geschichte erzählt, wie einmal mitten in stockdunkler Nacht eine Muskete in mein Zelt geguckt und ich ein doppelläufiges Tigerjunges darauf abgefeuert hätte. Am Anfang hatte ich noch eine ungefähre Vorstellung von der Richtung, in die wir fuhren, aber schon nach kurzer Zeit – was Wunder bei der Geschwindigkeit der Fahrt, dem Nebel und meiner beschränkten Ortskenntnis – hatte ich die Orientierung verloren und nahm nur noch wahr, daß wir offenbar einen weiten Weg zurückzulegen hatten. Sherlock Holmes hingegen verlor keinen Moment lang den Überblick, und während der Wagen ratternd offene Plätze durchquerte, um dann wieder in gewundene Nebenstraßen einzutauchen, murmelte er deren Namen vor sich hin.
»Rochester Row«, sagte er, »und jetzt Vincent Square. Jetzt kommen wir bei der Vauxhall Bridge Road heraus. Es scheint, wir halten auf die Surrey-Seite 8 zu. Ja, dacht ich mir’s doch, jetzt sind wir auf der Brücke. Schauen Sie, man kann einen Blick auf den Fluß erhaschen.«
Tatsächlich sahen wir flüchtig einen Abschnitt der Themse und den Widerschein der Lampen auf dem breiten, ruhig fließenden Gewässer, aber schon war der Wagen weitergejagt und ins Straßengewirr des jenseitigen Ufers eingetaucht.
»Wandsworth Road«, bemerkte mein Gefährte. »Priory Road. Larkhall Lane. Stockwell Place. Robert Street. Coldharbour Lane. Unsere Ausfahrt scheint uns nicht in die allervornehmsten Gegenden zu führen.«
Tatsächlich befanden wir uns in einer höchst zweifelhaften, wenig einladenden Umgebung. Lange Reihen düsterer Backsteinhäuser wurden einzig vom Flitter grell erleuchteter Pubs an den Straßenecken aufgelockert. Es folgten Reihen von zweigeschossigen Einfamilienhäusern, jedes mit einem winzig kleinen Vorgarten, dann wieder endlose Reihen von neuen, aufdringlichen Backsteingebäuden – monströse Tentakel, welche die riesenhafte Stadt ins Land ausstreckte. Endlich hielt der Wagen vor dem dritten Haus einer neugebauten Häuserreihe. Keines der Nachbarhäuser schien bewohnt zu sein, und auch das, vor dem wir standen, war dunkel bis auf einen schwachen Schimmer, der durch das Küchenfenster drang. Auf unser Klopfen hin wurde die Tür jedoch unverzüglich aufgerissen von einem Hindu-Diener, der einen gelben Turban, ein weißes, wallendes Gewand und eine gelbe Schärpe trug. Die exotische Gestalt wirkte seltsam fehl
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