Das Zeitalter der Erkenntnis: Die Erforschung des Unbewussten in Kunst, Geist und Gehirn von der Wiener Moderne bis heute (German Edition)
und unsere Freude über die Wissenschaft wie auch über die Kunst bereichern könnten.
1 Szeps-Zuckerkandl, B., Ich erlebte fünfzig Jahre Weltgeschichte , Stockholm 1939, S. 179.
TEIL EINS
Eine psychoanalytische Psychologie und Kunst der unbewussten Gefühle
Abb. 1-1.
Gustav Klimt, Adele Bloch-Bauer I (1907).
Öl, Silber, Gold auf Leinwand.
KAPITEL 1
DIE WENDUNG NACH INNEN: »WIEN 1900«
I m Jahre 2006 erwarb Ronald Lauder, ein Sammler österreichischer expressionistischer Kunst und Mitbegründer der Neuen Galerie, einem Museum für Expressionismus in New York City, für die stolze Summe von 135 Millionen Dollar ein einziges Gemälde – Gustav Klimts faszinierendes vergoldetes Porträt von Adele Bloch-Bauer, einer Angehörigen der Wiener Schickeria und Kunstmäzenin. Lauder sah Klimts Gemälde von 1907 zum ersten Mal im Museum des Oberen Belvedere, als er mit 14 Jahren Wien besuchte. Sofort zog ihn das Bildnis in seinen Bann. Es schien das Wien der Jahrhundertwende zu verkörpern – seinen Reichtum, seine Sinnlichkeit und seine Fähigkeit zur Innovation. Im Laufe der Jahre reifte in Lauder die Überzeugung, dass Klimts Porträt von Adele (Abb. 1-1) eine der großen Darstellungen des Mysteriums der Frau sei.
Wie die Elemente von Adeles Kleid belegen, war Klimt wahrhaftig ein versierter dekorativer Maler des Jugendstils im 19. Jahrhundert. Das Gemälde hat aber noch eine weitere, historische Bedeutung: Es ist eines der ersten Bilder Klimts, das mit der traditionellen Dreidimensionalität bricht und die Entwicklung zu einem modernen flächenhaften Raum vollzieht, den der Künstler mit leuchtenden Ornamenten schmückt. Das Gemälde offenbart Klimt als einen Erneuerer und maßgeblichen Vorreiter der österreichischen Moderne. Die Autoren Sophie Lillie und Georg Gaugusch beschreiben Adele Bloch-Bauer I folgendermaßen:
[Klimts] Gemälde gab nicht nur Bloch-Bauers unwiderstehliche Schönheit und Sinnlichkeit wieder. Seine komplizierte Ornamentik und exotischen Motive kündeten vom Aufdämmern der Moderne und einer Kultur, die bereit war, sich radikal eine neue Identität zu formen. Mit diesem Gemälde schuf Klimt eine säkulare Ikone, die im Wien des Fin de Siècle für die Hoffnungen einer ganzen Generation stehen sollte. 2
Mit diesem Gemälde verabschiedet sich Klimt von dem seit der frühen Renaissance immer intensiver verfolgten Bestreben der Maler, die dreidimensionale Welt möglichst realistisch auf eine zweidimensionale Leinwand zu bannen. Wie andere moderne Künstler, die sich mit der Erfindung der Fotografie konfrontiert sahen, suchte Klimt neuere Wahrheiten, die sich nicht von der Kamera einfangen ließen. Er und insbesondere seine jüngeren Protegés Oskar Kokoschka und Egon Schiele wandten den Blick nach innen – fort von der dreidimensionalen Außenwelt, hin zum multidimensionalen inneren Selbst und zum Unbewussten.
Über diesen Bruch mit der künstlerischen Vergangenheit hinaus zeigt uns das Gemälde den Einfluss der modernen Forschung, vor allem der modernen Biologie, auf Klimts Kunst und in erheblichem Maße auch auf die Kultur von »Wien 1900«, der Epoche von 1890 bis 1918. Wie von der Kunsthistorikerin Emily Braun dokumentiert, las Klimt Darwin; ihn faszinierte die Struktur der Zelle – des wichtigsten Bausteins allen Lebens. So sind die kleinen ikonografischen Bilder auf Adeles Kleid nicht einfach dekorativ, wie andere Bilder der Jugendstil-Epoche. Sie sind vielmehr Symbole männlicher und weiblicher Zellen – rechteckiger Spermien und ovoider Eizellen. Diese biologisch inspirierten Fruchtbarkeitssymbole sollen eine Verbindung zwischen dem verführerischen Gesicht des Modells und ihrer voll erblühten Fähigkeit zur Fortpflanzung herstellen.
2 Lillie, S. und G. Gaugusch, Portrait of Adele Bloch-Bauer , New York 1984, S. 13.
Abb. 1-2.
Hans Makart, Kronprinzessin Stephanie (1881).
Öl auf Leinwand.
DASS ADELE BLOCH-BAUERS PORTRÄT großartig genug war, um 135 Millionen Dollar zu erzielen – was zu dem Zeitpunkt die höchste je gezahlte Summe für ein einzelnes Gemälde war –, ist umso bemerkenswerter, als Klimts Arbeiten zu Beginn seiner Laufbahn zwar sehr gekonnt, aber ansonsten unspektakulär waren. Er war ein guter, aber konventioneller Maler, ein Dekorateur von Theatern, Museen und anderen öffentlichen Gebäuden, der sich an dem prachtvoll-historistischen, konventionellen Stil seines Lehrers Hans Makart orientierte (Abb. 1-2). Genau wie der talentierte Farbenkünstler Makart,
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