Das Zeitalter der Fuenf 02 Magier
seufzte.
Also war mein Argwohn doch nicht übertrieben. Sie behandeln mich tatsächlich anders. Und es liegt daran, dass ich unbefähigt bin.
Was im Grunde keine Überraschung war. Die Tatsache, dass sie übernatürliche Fähigkeiten besaßen, machte die Götterdiener zu etwas Besonderem. Genauso, wie ihre Klugheit den Denkern ihren Platz in der Gesellschaft sicherte. Es war eine Ironie des Schicksals zu entdecken, dass die Götterdiener sich des Gefühls, anderen überlegen zu sein, ebenso unsicher waren wie die Denker und genau wie diese versuchten, es sich durch Ausgrenzung aller anderen zu erhalten.
Das ist ihre Schwäche, dachte sie. Allerdings keine Schwäche, die ich mir ohne weiteres zunutze machen könnte. Ich bin nicht hier, um die Götterdiener in irgendeinem Wettkampf zu übertreffen. Ich bin hier, um mich ihnen anzuschließen.
Die Schritte, die sie kurz zuvor im Flur gehört hatte, hielten vor ihrer Tür plötzlich inne, und sie sah, dass etwas unter der Tür hindurchgeschoben wurde. Sie stand auf und bückte sich, um es aufzuheben.
Es war eine kleine Schriftrolle, leicht zerdrückt an der Stelle, an der sie unter der Tür hindurchgezwängt worden war. Sie lachte leise, als sie sah, dass das Schreiben an »Götterdienerin Reivan Riedschneider« adressiert war. Noch bin ich keine Götterdienerin, dachte sie erheitert.
Sie drehte die Schriftrolle um, und ihre Erheiterung löste sich in nichts auf, als sie das Siegel der Denker sah. Sie erbrach es, breitete die Schriftrolle aus und begann zu lesen.
Götterdienerin Reivan Riedschneider,
es ist uns zu Gehör gekommen, dass Du in das Sanktuarium eingetreten bist, in der Absicht, eine Götterdienerin zu werden. Da dies von Dir verlangt, dass Du Deine Zeit, Deine Fähigkeiten und Dein Leben zur Gänze den Göttern weihst, kannst Du die Bedingungen, die an eine Denkerin gestellt werden, selbstverständlich nicht mehr erfüllen. Niemand kann zwei Herren dienen. Deine Mitgliedschaft wurde Dir entzogen.
Erster Denker Hitte Sandreiter
Reivan stellte fest, dass ihr Herz raste. Sie murmelte einen Fluch. Wenn sie die Prüfungen nicht bestand und keine Götterdienerin wurde, würde sie, wenn sie das Sanktuarium verließ, kein Heim mehr besitzen, nur geringes Vermögen und keine gesetzlichen Möglichkeiten, sich mit etwas anderem als niederen Arbeiten ein Einkommen zu sichern. Sie riskierte ihre Zukunft - sogar ihr Leben - für Prüfungen, die sie unmöglich bestehen konnte.
Nein, dachte sie und holte tief Atem. Imenja hat ihr Wort gehalten. Sie hat Drevva befohlen, meinen Mangel an magischen Fähigkeiten zu ignorieren. Ich kann nur hoffen, dass ich die anderen Prüfungen bestanden habe.
Es klopfte an ihrer Tür. Sie schob den Brief unter ihre Matratze und ging durch den Raum, um die Tür zu öffnen. Im Flur stand die Ergebene Drevva, ein Bündel aus schwarzem Tuch in Händen.
»Zieh das an und komm in mein Zimmer«, befahl sie.
Reivan schloss die Tür und entfaltete das Bündel. Es war die Robe eines Götterdieners. Ihr Herz begann abermals heftiger zu schlagen, und ihre Hände zitterten, als sie die Robe hastig überstreifte. Dann strich sie den Stoff glatt und fragte sich, wie sie wohl darin aussehen mochte. Stand ihr das Gewand? Verlieh es ihr die Aura von Autorität, die sie in der Vergangenheit bei anderen Götterdienern bewundert hatte?
Allerdings gehörte noch kein Sternenanhänger der Dienerschaft dazu. Den würde sie bekommen, wenn sie ihr Noviziat beendete.
Ich habe noch immer so viel zu lernen, ging es ihr durch den Kopf. Sie werden es mir nicht leichtmachen, aber vielleicht ist es das Beste so. Es sollte nicht leicht sein, ein Götterdiener zu werden. Ich muss beweisen, dass ich dieser Ehre würdig bin.
Sie straffte sich. Und ich werde es beweisen. Und sei es auch nur, um Imenjas Entscheidung zu rechtfertigen.
Sie klammerte sich an dieses Gefühl der Entschlossenheit und verließ den Raum. Auch andere Neulinge, die ebenfalls in Schwarz gewandet waren, liefen aufgeregt durch den Flur und klopften an alle Türen ihrer Gefährten. Einer bemerkte sie und grinste. Sie erwiderte sein Lächeln.
Dieses Chaos formte sich schnell zu einer Reihe schwarzgewandeter Neulinge, die auf dem Weg zu Drevvas Zimmer waren. Die Ergebene erwartete sie vor ihrer Tür. Sie sah einen jeden von ihnen genau an, dann nickte sie.
»Es ist an der Zeit«, sagte sie. Mit diesen Worten drehte sie sich um und führte sie den Gang hinunter zum Hauptflur.
Während Reivan der
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