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Das zerbrochene Siegel - Roman

Das zerbrochene Siegel - Roman

Titel: Das zerbrochene Siegel - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Eder
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Bandolf die spärlich beleuchtete Treppe hinunter, während er über sein Gespräch mit der Witwe nachgrübelte. Er wurde das Gefühl nicht los, dass ihr Mienenspiel etwas anderes verraten wollte, als sie mit Worten gesagt hatte. Hatte sie ihn belogen? Ihm etwas verschwiegen? Doch was könnte sie für sich behalten haben? Und aus welchem Grund? Hatte sie womöglich selbst in irgendeiner Weise mit dem Mord an ihrem Gatten zu tun?
    Ein schmaler Lichtschimmer fiel auf die Stufen, als unten die Tür geöffnet wurde und ein Mann, in Umhang und Kapuze, in offensichtlicher Eile eintrat. Er nahm zwei Stufen auf einmal und rempelte den Burggrafen unsanft an, als er an ihm vorbeilief. Ein Grunzlaut, der als Entschuldigung gelten mochte, drang hinter der Kapuze hervor, dann war der Mann schon oben und seine gedrungene Gestalt aus dem Lichtkreis der Fackel verschwunden.
    »Tölpel«, brummte Bandolf geistesabwesend und überlegte, wo er wohl den unabkömmlichen Propst finden konnte. Wenn er schon einmal hier war, wollte er die Gelegenheit nutzen, Bruder Crispin nach den Geschäften zu fragen, die Ulbert von Flonheim nach Worms geführt hatten.
     
    Der Burggraf fand Bruder Crispin im Refektorium, wo der Propst zusammen mit dem Bruder Kämmerer und dem Bruder Cellerar ein spätes zweites Frühstück einnahm.
    »Rattenfratze«, hatte Prosperius den Propst von St. Andreas genannt. Eine Respektlosigkeit, für die Bandolf seinem jungen Schreiber die Ohren lang gezogen hatte. Doch als Bruder Crispin sich von der Tafel erhob, um den Burggrafen zu begrüßen, dachte Bandolf, dass der Spottname durchaus passte. Bruder Crispin war um gut einen Kopf kleiner als der Burggraf, und sein schmaler Kopf schien halslos an seinen Schultern festgewachsen. Kleine Äuglein funkelten unter buschigen Augenbrauen hervor. Die spitze
Nase mit einem Aufwärtsschwung und überraschend gesunde lange Zähne, die unter der hochgezogenen Oberlippe hervorschauten, vervollständigten noch den Eindruck von schnuppernder Aufmerksamkeit.
    »Wir hatten Euch schon erwartet, Burggraf. Setzt Euch und nehmt einen Bissen mit uns«, lud er Bandolf ein.
    »Ich nehme an, Pater Egidius hat Euch von Ulberts Tod berichtet?«, mutmaßte der Burggraf.
    »Ganz recht«, brummte Bruder Urbanus. Die massige Gestalt des Kämmerers nahm sich neben der kleinen des Propstes wie ein grob behauener Baumstamm aus. Mit einem Blick auf reichlich geräucherten Schinken, weißes Brot, nach Lauch duftenden Brei und goldgelben Käse schob Bandolf sich neben dem Kämmerer auf die Bank. »Ihr pflegt eine üppige Tafel, Propst«, bemerkte er und schnalzte in Vorfreude auf die unerwartete Mahlzeit mit der Zunge.
    Ein Hauch von Röte überzog Bruder Crispins Rattengesicht. »Nichts als Reste, die vom gestrigen Fest übrig geblieben sind«, beeilte er sich zu erklären.
    Da wird für die Armen nicht viel abgefallen sein, dachte Bandolf bei sich. Er zog seinen Becher aus der Tasche seines Umhangs und löste den Dolch vom Gürtel.
    »Greift schu, bevor esch schlecht wird«, ermunterte ihn Bruder Alfrad. Im Gegensatz zu Bruder Urbanus war der Cellerar so mager, als würde ihm die eigene Kost nicht munden, doch dafür befand er sich offenbar in demselben betrüblichen Zustand wie der junge Pförtner, dem Bandolf am Tor begegnet war.
    »Ist es wahr, dass Ulbert von Flonheim in Eurem Haus ermordet wurde?«, fragte der Propst.
    Bandolf, dessen Magen beim Anblick der Speisen verlauten ließ, es ginge auf die Sext zu, und er sei seit dem eiligen Frühstück vernachlässigt worden, warf Bruder Crispin einen scharfen Blick zu.

    »Er wurde auf dem Weg zu meinem Haus erstochen«, betonte er und überlegte, wie lange es dauern würde, bis sich das Gerücht, Ulbert wäre im Haus des Burggrafen ermordet worden, in der ganzen Stadt verbreitet hätte. Bis zur Vesper, schätzte er. In spätestens zwei Tagen würde die Nachricht dann weitere Kreise gezogen haben und in Lorsch das Ohr Seiner Eminenz, des Bischofs von Worms, erreichen. Adalbero wird ein Freudenmahl veranstalten und mich anschlie ßend zerpflücken wie eine Gans zu St. Martin, dachte er und verzog das Gesicht.
    »Und was wollte der Mann mitten in der Nacht von Euch?«, erkundigte sich Bruder Urbanus, während er Bandolf eine dicke Brotscheibe reichte.
    »Um das herauszufinden, bin ich hier.«
    Bruder Crispin zog seine borstigen Augenbrauen zusammen. »Wenn Ihr es nicht wisst, woher sollen wir es dann wissen?«
    »Ihr hattet Geschäfte mit Ulbert. Womöglich

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