Das zerbrochene Siegel - Roman
derzeit nicht ganz wohl. Seine Körpersäfte machen ihm zu schaffen.« Urbanus verschluckte sich und hustete in den Ärmel seiner Kutte.
»Wenn Ihr das sagt.« Bandolf lächelte kühl.
Nachdem der Cellerar das Refektorium verlassen hatte, erkundigte sich der Burggraf nach Ulberts Tun am gestrigen Tag, doch weder Bruder Urbanus noch der Propst konnten ihm mehr als Annalinde sagen, und auch der Name Lothar von Kalborn war ihnen offenbar nicht vertraut. Doch als er nach einem klein gewachsenen Mann mit dunkler Hautfarbe fragte, kniff der Propst seine Äuglein zusammen.
»Hmm, jetzt, da Ihr es erwähnt, fällt es mir ein: Tatsächlich verlangte ein solcher Mann gestern Einlass, um Ulbert zu sprechen. Es war noch vor der Sext. Ich erinnere mich, weil ich just ans Tor kam, als er unseren Pförtner rüde beschimpfte. Dabei hatte der Bruder Pförtner ihm nur gesagt, dass Ulbert nicht in seinem Quartier wäre. Ich habe ihm …«
»Hat er seinen Namen genannt?«, unterbrach ihn Bandolf.
»Nein.« Crispin verzog das Gesicht. »Ein unangenehmer Zeitgenosse. Er verlangte doch tatsächlich von mir, ich müsse Ulberts Aufenthaltsort umgehend ausfindig machen. Ich sagte ihm, dass die Gäste des Stifts nicht verpflichtet seien, mir oder meinen Brüdern Rechenschaft über ihr Tun und Lassen abzulegen, und ihm nichts anders übrig bleiben würde, als ein anderes Mal erneut nach dem Herrn von Flonheim zu fragen.«
»Gab er sich damit zufrieden?«
»Burggraf, ich bin Propst dieses Stiftes. Was blieb ihm anderes übrig?«
»Natürlich.« Bandolf seufzte. »Hat sonst noch jemand nach Ulbert gefragt? Gestern, oder auch früher?«
»Nein, aber wie Bruder Urbanus schon angedeutet hat, war Ulbert oft in der Stadt unterwegs.«
Bruder Urbanus runzelte die Stirn. »Hat Ulbert von Flonheim nicht auch einmal erwähnt, dass er seinen Vetter in der Stadt aufsuchen wollte?«, fragte er seinen Propst.
Bruder Crispin zuckte mit den Schultern.
»Ihr solltet die Witwe nach dem Vetter fragen«, empfahl Urbanus dem Burggrafen. »Sie wird wissen, wen Ulbert gemeint hat.«
Und ob sie das weiß, dachte Bandolf grimmig und fragte sich, warum Annalinde ihm diesen Vetter vorenthalten hatte.
Ein Mann, eingehüllt in einen braunen Umhang, drückte sich rasch in den Schatten des Torpfostens, als Bandolf durch die Pforte stürmte. Für einen Moment erwog er, dem Burggrafen zu folgen, doch dann entschied er sich anders. Es war unwahrscheinlich, dass Bandolf besaß, was er, der Falke, wollte.
Die Anwesenheit des Burggrafen im Stift hatte ihn überrascht. Dabei hätte er sich denken müssen, dass Bandolf von Leyen mit Ulberts Witwe sprechen würde, sobald er den Namen des Toten kannte. Im Stillen schalt er sich einen Narren. Er hatte genug über den Burggrafen von Worms gehört, um zu wissen, dass man mit seiner Einmischung rechnen musste. Das hatte er verabsäumt. Eine Nachlässigkeit, die er sich bei seinem Vorhaben nicht leisten konnte.
Entschlossen schüttelte der Falke sein Unbehagen ab. Bandolf von Leyens Ausdruck war besorgt gewesen, als er das Stift verließ. Das war nicht die Miene eines Mannes,
der sich auf der richtigen Spur wähnt. Und würde sich das ändern, war immer noch Zeit genug, dass er sich um den hartnäckigen Burggrafen kümmerte.
Zudem war im Moment der Kalabrier sein vordringliches Ziel. Ihm war er auf den Fersen, seit der Mann in Worms eingetroffen war. Als er heute Morgen von Ulberts Tod gehört hatte, war er sofort zum Quartier des Kalabriers geeilt und hatte vor der Herberge darauf gewartet, dass er herauskäme. Der Falke war sich sicher gewesen, der Mann würde umgehend die Stadt verlassen. Stattdessen hatte der Kalabrier ihn hierhergeführt.
Mit Bedacht verlagerte der Falke sein Gewicht von einem Bein aufs andere, und während er sich die Kapuze seines Umhangs tiefer in die Stirn zog, ließ er den Blick wachsam über die Gassen gleiten. Gegenüber dem Tor zu St. Andreas zankten sich zwei Knechte; Kinder sammelten auf der Sterzergasse Kuhfladen und Pferdeäpfel, die ihren Familien als Dünger und Brennmaterial dienen würden, und vor der Tür zur Kirche St. Magnus stand ein Grüppchen alter Weiber beisammen und tratschte. Niemand schien auf den Mann im braunen Umhang zu achten, der im Schatten des Torpfostens wartete.
Plötzlich merkte er auf. Hinter der Mauer von St. Andreas hörte er eilige Schritte. Gleich darauf wurde die Pforte geöffnet, und der Kalabrier kam mit übellaunigem Gesicht herausgestürmt. Ohne sich
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