Das zerbrochene Siegel - Roman
aufgerappelt hatte, bohrte sich die Klinge des Falken in ihre Seite. Einen Lidschlag später riss Bandolf noch im Laufen sein Schwert hoch. Es berührte die niedrige Decke, die den Schwung abbremste, und traf mit halber Kraft auf Lothars lederbewehrte Schulter. Das Leder riss auf. Blut quoll aus der Wunde. Das Schwert des Falken glitt aus Serafinas Leib, während er zu Bandolf herumfuhr. Der Burggraf hörte sie stöhnen, ehe das Eisen in sein eigenes Fleisch biss. Er taumelte zurück. Lothar setzte nach. Seine Züge verschwammen vor Bandolfs Augen, das Blut auf der Schulter seines Gegners schien blasser zu werden. Mit dem eigentümlichen Gefühl, leicht wie eine Feder zu sein, gelang es ihm, Lothars zweiten Schlag abzuwehren, und sah die Klinge erneut auf sich zukommen. Er hörte jemanden keuchen und ein Klappern. Eine Stimme schrie »Nein!«.
Dann hörte er nichts mehr.
»Geh beiseite.« Die Stimme des Falken.
»Nein.« Garsendes Stimme.
Bandolf hob die Lider und starrte in die weit geöffneten Augen Serafinas, die kaum zwei Schritte von ihm entfernt auf dem Boden lag.
Sie sieht erstaunt aus, fuhr es ihm durch den Kopf.
Mühsam wälzte er sich herum und sah Garsende vor der
Tür stehen, Lothar von Kalborn mit erhobenem Schwert vor ihr. Seine Linke umklammerte das zusammengerollte Pergament.
»Verdammnis«, murmelte Bandolf. Wieso war sie nicht geflohen?
Mit einem Ächzen rappelte er sich auf und stöhnte laut, als ein Schmerz wie von tausend Messern durch seinen Leib jagte.
»Gib mir den Weg frei.« Der Falke machte noch einen Schritt auf die Heilerin zu. Sein Schwert zeigte direkt auf ihren Leib.
Ihren Blick unverwandt auf sein Gesicht gerichtet, schüttelte Garsende den Kopf.
»Ihr werdet mich nicht töten«, sagte sie, als sei sie sich dessen vollkommen gewiss.
Mit zusammengebissenen Zähnen kam Bandolf endlich auf die Beine, doch der Boden unter ihm schwankte, und Halt suchend lehnte er sich an die Wand.
Als er wieder klar sehen konnte, hatte Lothar von Kalborn sich noch immer nicht gerührt. Dann ließ er unvermittelt sein Schwert sinken.
»Nein«, sagte er. »Natürlich nicht.« Seine Stimme klang eigentümlich weich. Er trat einen weiteren Schritt vor.
Bandolfs ärgerlicher Warnruf blieb in seiner Kehle stecken. Alles, was er zustande brachte, war ein leises Krächzen, und die verflixte Heilerin rührte sich nicht.
Der Falke war ihr jetzt so nah, dass sein Gesicht ihre Wange berührte. Er schien ihr etwas zuzuflüstern. Ein schmerzlicher Ausdruck flog über Garsendes Züge, und für einen Moment schloss sie die Augen. Dann trat sie beiseite und gab den Weg durch die Tür frei.
Verständnislos blinzelnd spürte Bandolf seine Beine nachgeben. Der Erdboden kam auf ihn zu.
KAPITEL 20
I n der Karwoche machte der Frühling einen zweiten Versuch, die Herrschaft über den Winter zu erringen. Als Eltrudis am Morgen des Gründonnerstag tränenreich und mit zahlreichen Ratschlägen auf den Lippen Abschied nahm, strahlte die Sonne von einem wolkenlosen Himmel.
Der Burggraf versäumte ihre Abreise. Am Tag zuvor war Heinrich IV., König von Gottes Gnaden, mit seinem Gefolge in Worms eingetroffen und hatte ihn zur Audienz in die Bischofspfalz befohlen.
Als Bandolf zurückkehrte und mit grimmigem Gesicht durch das Tor auf seinen Hof stapfte, ging der sonnige Tag bereits zur Neige. Obwohl er Matthäa vor einigen Tagen erklärt hatte, er fühle sich vollkommen wohlauf und es würde ihn umbringen, müsste er viel länger faul auf seinem Lager herumliegen, verursachte ihm die Wunde in seinem Leib noch immer gelegentlich Schmerzen. Insbesondere dann, wenn er, wie an diesem Tag, lange stehen musste. Übellaunig dachte der Burggraf, er hätte ebenso gut sitzend den Zorn seines jungen Herrschers wegen des verlorenen Dokuments über sich ergehen lassen können.
Seine Stimmung besserte sich ein wenig, als er Matthäa lachen hörte. Mit den Augen folgte er dem Klang und entdeckte seine Gemahlin im Kräutergarten. Garsende an ihrer Seite, wühlten die beiden Frauen in der Erde. Matthäa lachte hellauf über etwas, das die Heilerin gesagt hatte, und ein schwermütiges Lächeln glitt über Garsendes Gesicht.
Während sich der Burggraf mit gebotener Vorsicht auf der
niedrigen Gartenmauer niederließ, überlegte er, dass seine Gattin einen heitereren Eindruck machte als seit langem. Garsende hingegen schien sich von den Ereignissen in der Klause und Beatrix’ Tod nur langsam wieder zu erholen. Seit jenem Tag
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