Das zerbrochene Siegel - Roman
schien sie sehr bedrückt, und erst jüngst war wenigstens die Farbe wieder in ihr Gesicht zurückgekehrt. Bandolf dachte, dass ihm ihre Niedergeschlagenheit tatsächlich ärgerlicher war als ihre spitze Zunge.
Er runzelte die Stirn. Seine letzte deutliche Erinnerung an den Morgen in der Klause war der Augenblick, als Lothar von Kalborn Serafina getötet hatte. Er wusste, dass er noch einmal zu sich gekommen war, doch das Bild von Garsende und Lothar an der Tür war verschwommen. Die Stunden und Tage, die darauf gefolgt waren, lagen im Nebel und wiesen deutliche Lücken auf. Vage erinnerte er sich an Matthäas zu Tode erschrockenes Gesicht und an ihre zittrige Stimme, die ihn beschwor, sie nicht allein zu lassen. Im Hintergrund hatte er Eltrudis’ endloses Geplapper in Erinnerung und Garsendes Stimme, der es schließlich irgendwie gelungen war, für Ruhe zu sorgen.
Sich über den lautstarken Widerstand ihrer Tante hinwegsetzend, hatte Matthäa die Heilerin ins Haus geholt, damit sie Bandolfs Wunde pflegte.
Von Garsende hatte Bandolf schließlich erfahren, dass Lothar von Kalborn mit dem Dokument geflohen war, nachdem er den Burggrafen außer Gefecht gesetzt hatte. Bruder Bartholomäus war nicht so schwer verletzt gewesen wie Bandolf, doch der Dolchstich hatte ihn offenbar derart erschreckt, dass er in eine tiefe Ohnmacht gesunken war. Nachdem Garsende die Wunden versorgt hatte, so gut sie es vermochte, war sie nach Worms gelaufen und hatte Hilfe geholt. Auf Tragen hatte man Bruder Bartholomäus und ihn schließlich in die Stadt geschafft, während der Leichnam Serafinas ins Kloster verbracht worden war.
In Serafinas Kammer hatte man erstaunliche Dinge zutage gefördert. Ihre Truhe beherbergte neben einer Anzahl kostbarer Gewänder zwei Phiolen mit Gift, ein Sammelsurium handlicher Dolche und das Gewand der Tucherin. Serafina musste es gestohlen haben, nachdem sie von Ulberts Absicht erfahren hatte, das Frühlingsfest zu besuchen. Offenbar hatte sie schnell handeln müssen, und in ihrem eigenen Gewand wäre sie auf der Hahnwiese aufgefallen.
Man hatte auch nach Serafinas Magd gesucht, doch die Hörige war verschwunden. Wenn es ihr gelungen war, sich nach Lorsch durchzuschlagen, mochte sich die Markgräfin von Turin ihrer annehmen. Adelheid wird dafür sorgen, dass die Magd verschollen bleibt, dachte Bandolf und zog eine Grimasse.
Dass er so töricht gewesen war, sich von Serafina hinters Licht führen zu lassen, hatte seinem Stolz einen mächtigen Schlag versetzt, und er dachte nicht gerne darüber nach.
Matthäa hob den Kopf. Als sie ihren Gatten auf der Gartenmauer entdeckte, raunte sie Garsende etwas zu. Die beiden Frauen erhoben sich und gesellten sich zu ihm.
»Wie ist Eure Audienz beim König verlaufen?«, erkundigte sich Matthäa, während sie sich neben ihren Gatten setzte. »Wie habt Ihr Seine Hoheit vorgefunden?«
»Wütend«, brummte Bandolf einsilbig.
Garsende ließ sich mit dem Rücken an die Mauer gelehnt auf dem Boden nieder. »Das war wohl nicht anders zu erwarten«, bemerkte sie.
Matthäa hingegen warf ihrem Gatten einen unzufriedenen Blick zu. »Warum war er wütend? Ihr tatet schließlich Euer Bestes und habt die Täter doch letzten Endes entlarvt.«
»Aber ich konnte dem König nicht das geben, was er haben wollte.«
Lothar von Kalborn war mit dem Schriftstück entkommen, und die Fürsten hatten es gewiss längst vernichtet, damit es ihren Wünschen nicht mehr in die Quere kommen konnte. Im Stillen dachte Bandolf, dass es so vielleicht am besten war.
Selbstredend war der junge König anderer Meinung gewesen und hatte Lothar von Kalborn zornentbrannt zum Vogelfreien erklärt. Bandolf war sich jedoch sicher, dass dem Falken die Unterstützung der Fürsten gewiss wäre.
»Ihr habt mir noch immer nicht gesagt, was so wichtig an dem Dokument war, um all das Übel zu verursachen«, sagte Matthäa in seine Gedanken.
Mit einem Schulterzucken meinte er: »Beatrix hat es der Heilerin anvertraut. Sie mag es dir erzählen.«
Garsende stieß ein tiefes Seufzen aus. Langsam wandte sie ihr Gesicht der Sonne zu und schloss die Augen.
»Alles begann vor etwa einer Dekade in einem Kloster in der Markgrafschaft Turin«, sagte sie schließlich leise. »Abt Hugbertus von Sankt Raffael hatte sich mit Adelheid, der Markgräfin von Turin, wegen mehrerer Pfründe überworfen. Einige Zeit nach ihrem Streit traf ein junger Edelmann, Philipp von Givenio, mit seinem Gefolge im Kloster ein. Und mit ihm
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