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Das Zimmer

Das Zimmer

Titel: Das Zimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Maier
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zweiten Dame, sondern ist schon der ersten Frau gefolgt und ist jetzt ihr Junge, wie er, nun drinnen, gleich geschäftsmäßig abgehandelt wird, denn kaum hat er die Pforte zumParadies überschritten, wird alles gleich auffallend sachlich und geradezu formal, ähnlich wie in einer Arztpraxis, nur mit ganz anderer Einrichtung und ganz anderen Farben, hier herrscht gerade viel Rot vor, gemischt mit einem üppigen Grün, die Farben ebenso übertrieben sinnlich, wie sie bei einem Arzt schon damals ausgesucht steril waren, schon meine frühsten Arztpraxen waren meistens nur noch weiß, als Vorstufe zum Himmel. Onkel J. wird nun herumgereicht, er ist, obgleich Kunde, der zahlt und zählt, eigentlich nicht mehr so recht Herr des Geschehens, das liegt unter anderem daran, daß er zeitlebens völlig unfähig zu einem respektgebietenden Auftritt war. Keinerlei Dominanz konnte er ausstrahlen, zeitlebens nicht, nur immer das genaue Gegenteil. Alle machten auch hier immer nur mit ihm, was sie wollten, auch wenn er es vielleicht sogar selbst wollte. Ein Mensch, der schon gegen meinen Bruder und mich unterging, wenn es sich nur um die Bergrettung handelte, im Fernsehzimmer in der Wetterau, konnte in den Frankfurter Altbauten wohl letztlich nur herumgereicht werden wie im Krankenhaus von einer sinnlosen Untersuchung zur nächsten, Hauptsache, sie bringen alle Geld. Schon im Eingangszimmer muß er ganz in sich zusammengefallen gewesen sein. Denn auch hier war er ja plötzlich in Autoritätszusammenhängen, wie zu Hause, wie auf dem Gelände der Steinwerkefirma, wie im Frankfurter Hauptbahnhofbei der Paketpost. Nirgends hatte er etwas zu sagen. Jetzt setzen Sie sich erst mal ins Wartezimmer, hieß es beim Arzt, jetzt setz dich erst mal da hin, hieß es auf der Kaiserstraße, da, auf den Stuhl! Denn sie hatten ihn gleich erkannt in seinem hoffnungslosen Wesen und wußten, den kann man behandeln, wie man will, der ist ungefährlich und bringt vermutlich sowieso nichts zustande. Einer aus der letzten Reihe. Der wird nie sagen, die und die will ich, dem zeigt man gleich den letzten Schund, den man hat, der soll froh sein, daß er für sein Geld überhaupt darf. Sein Geld riecht ja auch nicht. Das einzige, was an ihm nicht riecht, ist das Geld. Sie setzen meinen Onkel erst einmal auf ein Wartebänkchen oder einen Wartestuhl oder an die Bar, und vielleicht wird er da sogar eine Zeitlang einfach vergessen, er macht ja nichts, er wartet nur. Er wartet, als stehe er mal wieder herum. Jedem (jeder), der (die) vorbeikommt, folgt er hündisch mit dem Blick, schauend, ob er angeschaut werde, ob er beachtet werde. Wird er aber nicht. Vielleicht ist es Winter, und er hat seine Tschapka in der Hand. Was wäre, wenn er jetzt jemandem begegnete? Ich glaube, er wäre ganz freundlich und verhielte sich genauso, als wenn er dem Betreffenden in Bad Nauheim auf der Straße begegnete. Wahrscheinlich ohne jedes Sünderbewußtsein. Ich male mir nämlich aus, der ganze Vorgang habe für meinen Onkel einen bloß, im weitesten Sinne, technischen Charakter gehabt. Scham kannte er wohl nur seiner Mutter und seiner Familie gegenüber. Ich glaube, er hätte eine Begegnung dort beim Warten, Mütze in der Hand, nicht einmal als Anlaß für den Beginn einer schmierigen Vertrautheit genommen. Er hätte gesagt ei Wolfgang grüß dich oder ei Kallheinz grüß dich und hätte gleich Neuigkeiten vom Forsthaus Winterstein erzählt, oder vom letzten Waldgang, wo er vielleicht mal wieder den größten Hirsch seines Lebens gesehen hatte, überhaupt den größten Hirsch im ganzen Usatal vermutlich. Über die Frauen, um die es doch ging (aber ging es um sie?), hätten sie gar nicht gesprochen, und sicherlich wäre der Wolfgang oder der Kallheinz viel schneller drangekommen als mein Onkel, der jetzt schon den ersten Zug verpaßt hat und immer noch wartet. Jetzt kauft er ein teures Bier für zwölf Mark, weil er es soll. Auch wenn die Damen des Etablissements weitgehend entblößt an ihm vorbeikommen, geschäftsmäßig und immer mit etwas anderem beschäftigt, sucht er nach einem Krumen Aufmerksamkeit, nicht beleidigt, sondern nur ein bißchen traurig, mit Dackelblick. Und er schaut ihnen nicht einmal auf Busen und Hintern, er taxiert sie nicht, dafür ist er auch hier nicht dominant genug, es gehört ja ein gewisses Selbstbewußtsein dazu. Nein, er ist hier untergeordnet wie zu Hause. Immerhin darf man rauchen. Dann ertönt ein Ruf. He du da! Mein Onkel blickt auf, stelle ich mir

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