Das Zimmer
stehen, und dann kommt am Ende noch die alte Frau Blum in Kittelschürze oder die Frau Siebert vom Blumensiebert dazu oder die Frau Jakumeit, und es werden überhaupt sämtliche Nachbarschaftsinformationen komplett auf einmal bis zur Neige ausgetauscht, und sie reden bis zum Abend und bis in die Nacht, während mein Onkel im Variant sitzt und dort drinnen in der Metzgerei alles lacht und sich freut und fröhlich ist und er nicht zum Forsthaus Winterstein kann, worauf er ein Maschinengewehr nimmt, aussteigt, zuerst alle im Metzgerladen erschießt und tötet und massakriert, und dannläuft er gleich noch auf die Straße und erschießt die Vorbeikommenden und am besten gleich den ganzen Mühlweg, bis dort ein Leichenberg von fünfhundert Personen liegt, und dann steigt er in seinen Variant und fährt ins Forsthaus Winterstein und bestellt dort ordnungsgemäß und regelgerecht ein Bier und mindestens einen Doppelkorn. Es kommen aber weder Frau Siebert noch Frau Jakumeit noch die alte Frau Blum, und meine Mutter ist auch schon wieder aus dem Laden heraus, hält sich auf den drei Stufen am kleinen Geländer fest und schaut aufmerksam unter sich, Stufe für Stufe, denn sie trägt Schuhe mit Absätzen, da kann man leicht stolpern. In ihrem Gesicht immer noch ein Lächeln. Nun »springt« die Ursel in den Wagen und führt gleich das eben beim Metzger Blum angefangene Gespräch fort. Ach, die Frau Blum, sagt sie. Jetzt hat ihr Bruder ein Moped, und immer rennt ihm der Dackel hinterher. Der braucht sein Moped doch auch nur, um in die Wirtschaft zu fahren. Und immer der Dackel hinterher, wie der Pluto vom Großvater, der ist auch immer hinterher, wenn der Opa Karl zum Goldenen Faß ist, äh, bieg doch hier grad noch schnell zum Edeka ein. Mein Onkel biegt auf die Gebrüder-Lang-Straße zum Edeka ein. Gell, wart hier kurz, sagt sie, ich brauch nicht lang. Woraufhin sie in den Edeka verschwindet. Immer ist sie in Eile, aber immer wird sie aufgehalten, und freilich muß sie im Viertel viele Gespräche führen, alle kennen sie jetzt, die Direktorin der Steinwerke im Barbaraviertel. Lange Tradition. Mein Onkel hält sich, während er wartet, die ganze Zeit am Lenkrad fest, als würde er noch immer fahren, und starrt unter seinen kohlrabenschwarzen Augenbrauen vor sich hin durch die Windschutzscheibe aus dem Variant hinaus auf die Straße, denn dort läuft möglicherweise gerade die fünfzehnjährige Elke Schuster vorbei und trägt einen sehr kurzen Rock oder vielleicht sogar einen Minirock im Stil der damaligen Mode, und Brüste hat sie auch. Im Kopf meines Onkels wird alles leer und wortlos, und die Augen treten ein beträchtliches Stück aus ihm heraus. Vielleicht läuft aber gerade doch nicht die fünfzehnjährige Elke Schuster vorbei, sondern mein Onkel starrt tatsächlich einfach nur vor sich hin, beide Hände am Lenker, was soll er sonst tun? Nach einigen Minuten kommt meine Mutter mit einer Einkaufstüte aus dem Edeka heraus und zeigt sich begeistert von der neuerlichen Erweiterung des Sortiments, fast alles kann man inzwischen beim Edeka kaufen, man muß eigentlich nirgendwo anders mehr hin. Früher, sagt sie, mußte man noch auf die Kaiserstraße zum Kissler oder in die Altstadt zum Bäcker Mörler, aber die Brottheke im Edeka ist jetzt so gut, da kriege ich immer, was ich brauche, jetzt können wir nach Nauheim fahren. Warst du auf dem Friedhof? Ja, war ich, sagt J. Sie: Hast du gegossen? Ja, sagt J. Gut, sagt sie,dann muß ich das nicht mehr machen. Gott, ist das schon wieder spät. Die Mutti will noch zum Friseur. Aber wart mal, fahr doch bitte noch einmal schnell in die Stadt, ich will noch die Bettücher aus der Reinigung abholen, das ist ja schnell geschehen.
Also fährt mein Onkel zum Bahndamm hoch und von dort in die Stadt, das heißt auf die Kaiserstraße. Auf der Höhe der Stadtkirche wird der Verkehr dichter, eben, gegen Feierabend, scheint es viele auf die Kaiserstraße zu treiben, jetzt hat man gerade Zeit, die Arbeit vorbei, und bis sechs muß man noch seine Erledigungen geschafft haben, denn später hat ja alles zu und jedes Geschäft geschlossen. Ganz Friedberg scheint mit dem Automobil auf die Kaiserstraße zu streben, kommt den Friedbergern vor, die gerade mit ihrem Automobil auf die Kaiserstraße fahren. Bereits an der Kirche muß J. anhalten, da stehen sie bis zur Kreuzung, die sich dreißig Meter weiter vorn befindet, das kennt er nicht, da stehen ja acht oder zehn Autos vor ihm! Das hat er noch nie
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