Das Zimmermaedchen
Ritual. Lynn trinkt Wein, sitzt auf dem Sessel, spielt mit dem Telefon, es schnürt sich etwas zusammen, sie weiß, die Gespräche ähneln sich, aber sie tut es nicht der Mutter zuliebe, Lynn will es selber, sie will sie hören, die Mutter, sie will etwas erfahren und weiß doch, dass sie nichts erfahren wird, sie hofft immer auf einen Satz, der anders ist als die Sätze, die sie zur Genüge kennt, und weiß, dass es den Satz nicht geben wird, ihre Hoffnung ist Zweifel und Verzweiflung zugleich, aber lassen kann sie es nicht.
»Mutter?«
»Linda.«
»Alles in Ordnung?«
»Schön, dass du anrufst.«
»Was macht das Herz?«
»Es schlägt noch.«
»Du hast bald Geburtstag.«
»Ich weiß.«
»Was wünschst du dir?«
»Dass du kommst.«
»Ich muss arbeiten, Mutter.«
»Es ist gut, dass du wieder arbeitest.«
»Was machst du den ganzen Tag?«, fragt Lynn.
»Ich? Nicht so viel.«
»Was hast du zuletzt gelesen?«
»Och, einen Liebesroman.«
»Gehst du aus?«
»Nein.«
»Geh doch mal ins Kino. Mit Ilse.«
»Mit Ilse?«
»Warum denn nicht?«
»Wenn du meinst.«
»Da kommt jetzt ein Film. Über die Erde. Ein Dokumentarfilm. Soll sehr gut sein. Natur, Landschaftsaufnahmen …«
»Tiere?«
»Klar.«
»Und bei dir?«, fragt Mutter.
»Mhm.«
»Alles beim Alten?«
»Mhm.«
»Da gibt’s ein neues Putzmittel«, sagt Mutter, »ich hab’s selber probiert. Extra für dich. Das riecht nach Sommer, den ganzen Tag, ich hab gedacht, in einem Hotel, also, das ganze Hotel, das würde nach Sommer riechen, das musst du dir unbedingt besorgen, das musst du mal ausprobieren.«
»Mach ich, Mutter.«
»Wie kriegst du denn den Urinstein weg?«
»Mit Tabletten.«
»Was für Tabletten?«
»Die lösen sich auf im Klo, das sind Chemiekeulen.«
»Wie groß sind die?«
»So groß wie Spülmaschinentabs.«
»Welche Firma?«
»Weiß nicht, ich schau nach, ich sag’s dir.«
»Und die Spiegel?«
»Was ist mit denen?«
»Benutzt du Zeitungspapier?«
»Fensterschieber.«
»Bleiben da keine Schlieren zurück?«
»Ich reib den Schieber immer mit nem Handtuch trocken.«
»Und die Klos? So viele fremde Klos? Ist das nicht ekelhaft?«
»Die sind ja nicht so oft benutzt worden.«
»Aber da gibt’s doch Schweine. Gibt’s die nicht auch im Hotel, so richtige Schweine?«
»Dann nehm ich zuerst die Bürste. Das ist kein Problem.«
»Und die Urintropfen auf dem Kloboden?«
»Kein Problem.«
»Musst du auch Fenster putzen?«
»Nein, da kommt eine Firma.«
»Wie oft?«
»Alle paar Wochen.«
»Und wenn ein Gast mit den Fingern drauf dappt?«
»Dann mach ich’s schon mal selber sauber.«
»Also putzt du die doch?«
»Nur selten.«
»Wie kriegst du die blank?«
»Scheibenklar. Eine Kappe in den Eimer.«
Scheibenklar, denkt Lynn, da bleibt kein Fett zurück, keine Spur, da sehen die Fenster aus, als würde es sie gar nicht geben, als könnte man durch sie hindurchgreifen, springen, ohne Splittern.
»Hör zu«, sagt Lynn, »ich muss los.«
»Rufst du wieder an?«
»Klar.«
»Willst du nicht wissen, wie das Putzmittel heißt?«
»Welches Putzmittel?«
»Das ich ausprobiert hab.«
»Ach so. Ja. Klar.«
»Sommerbrise.«
»Danke.«
»Mach’s noch.«
»Mach’s noch.«
Lynn drückt den Knopf.
Der Freitag ist knallrot, rund wie ein Spielball, hüpft den ganzen Tag, kommt nicht zur Ruhe, überall herrscht Hektik, Vorbereitung fürs Wochenende, freitags sind die Menschen fahrig, laufen eher, als dass sie gehen, sie freuen sich auf das, was kommt, sie trinken die Zeit hastig, kippen sie runter, nur schnell zum Abend und dann das tun, was man tun will, nur endlich vom Freitagabend in den Samstag gleiten, in die Aussicht auf zwei Tage Freizeit, zwei Tage Unterbrechung des Lebens, wie man es kennt. Lynn sieht freitags den Therapeuten, Wilhelm Schlick. Was für ein hässlicher Name, denkt Lynn. Am Freitag erfindet Lynn einen Traum. Das tut sie gern. Sie erfindet die Träume immer so, dass Schlick zufrieden ist.
Samtschwarzer Samstag, Menschen haben sich in Spaß gekleidet, stehen knöcheltief in Freizeit, tun, was sie tun wollen, haben das Müssen an der Garderobe abgegeben. Am Samstag Chiara. Wenn Lynn wüsste, was wahr ist, ginge es ihr besser.
»Also doch«, sagt Chiara.
»Was?«
»Liegst unterm Bett?«
»Hab ich doch gesagt.«
»Ich hab gedacht, du lügst.«
»Warum hast du mich nicht verraten?«
»Warum hätte ich das tun sollen?«
Lynn schweigt.
»Und du?«, fragt Chiara.
»Was?«
»Liegst du
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