Das Zimmermaedchen
unten, und während sie all das tut, denkt sie, es ist wichtig, dass ich es tue, man muss dem Staub zu Leibe rücken, man muss den Staub überall dort entfernen, wo er auftauchen kann, und nur weil man ihn nicht sieht, heißt es nicht, dass er nicht da ist. Sie kniet sich an die Türschwelle und untersucht den Teppichboden und hofft, dass er nur lose dort liegt, damit sie ihn Stück für Stück aufrollen und den nackten Boden saugen kann, aber der Teppich ist festgeklebt, und Lynn stellt sich vor, was alles unter dem Teppich verborgen sein könnte, und sie erinnert sich daran, wie sie ihre eigene Miniwohnung bezogen hat, Vor Jahren, und wie sie die braunen, miefigen Teppichplatten rausgebrochen hat, die ihr beinah unter der Hand zerbröselt sind, und wie sie eine dicke Spinne überraschte, die sich unterm Teppich verkrochen hatte und die Flucht ergriff, aber nicht weit kam, da Lynn eine der braunen Teppichfetzen auf die Spinne warf und sofort hinterhersprang und die Spinne zu Tode trampelte, und der Therapeut sagte, dass die Spinne ein Symbol für die Mutter darstelle, für die Beziehung zur Mutter, und Lynn sagte, das sei lächerlich, sie habe überhaupt keine Angst vor der Mutter, sie habe Angst vor Spinnen, eine Spinne sei nur eine Spinne, eine Spinnenangst nur Spinnenangst und keine Mutterangst, man solle endlich aufhören, den Dingen und Tieren Bedeutungen überzustreifen, und sie, Lynn, rufe ihre Mutter jeden Donnerstag an, welche Mutter könne schon sagen, dass ihre Tochter sie einmal die Woche anrufe, das sei doch mehr, als man erwarten könne. Der Therapeut nickte, und genau das war der Augenblick, da Lynn den Therapeuten das einzige Mal angefahren hat, er solle endlich aufhören zu nicken. Und während Lynn nun dort an der Tür kniet und versucht, den Teppich hochzupfriemeln, was ihr nicht gelingt, nutzt sie immerhin ihre Stellung, um die Unterkante der Holztür zu reinigen, wozu sie ein Putztuch um die Klinge eines Messers legt und unter die knapp überm Boden schwebende Tür schiebt, und Lynn zieht ein Tuch hervor, das an der entsprechenden Stelle schwarz ist, ein Anblick, der Lynn seltsam erfreut und beruhigt, und sie wäscht das Putztuch im Eimer aus und wiederholt den Vorgang so oft, bis das Tuch endlich weiß bleibt.
Lynn will am blassblauen Sonntag auf keinen Fall zu schnell wieder in ihrer Wohnung sein, da sie am Samstag vergessen hat, einen Film auszuleihen, und so bleibt sie bis um acht am Abend im Frühstücksraum und säubert sämtliche Unterseiten der Stühle, Sessel, Tische. Dann zieht sie die Putzuniform aus und geht ins Kino, wo sie einen Film sieht, der sie nicht sonderlich interessiert. Erst als jemand sich hektisch anzieht und dabei einen Knopf von seinem Jackett reißt, der durchs Wohnzimmer springt und verschwindet, erst da schließt Lynn die Augen und stellt sich vor, wohin der Knopf geflogen sein könnte, ob unter den Schrank oder unter den Stuhl oder in den knarrenden Zwischenraum des Ledersessels oder unter die Kante des Teppichläufers, erst da kommt Lynn allmählich zur Ruhe, erst als sie sich vorstellt, wo sie den Knopf überall suchen würde, wenn sie nicht hier, im Kinosessel, säße, sondern dort, im Film, hinter der Leinwand.
9
T ut mir leid, dass ich sonst nicht so viel Zeit für dich hab«, sagt Heinz am Montag.
»Kein Problem.«
»Gibt immer was zu tun hier.«
»Versteh ich.«
»Wir sind zufrieden mit dir. Die Gäste loben vor allem deine Zimmer. Einer sagt, das ist so sauber, da kann man vom Fußboden essen, picobello, da gibt’s nichts auszusetzen.«
»Freut mich.«
»Du bleibst immer länger? Machst Überstunden?«
»Ja, gern.«
»Warum? Die werden nicht bezahlt.«
»Was soll ich zu Hause?«
»Du putzt auch die leer stehenden Zimmer?«
»Die verkommen sonst.«
»Aber du musst die nicht jeden Tag putzen.«
»Wenn ich doch Zeit hab.«
»Fährst du weg? Du hast bald Urlaub.«
Lynn erinnert sich schwach an die Sitzung mit der Hausdame und den anderen Zimmermädchen, ganz zu Anfang, in der man über die Urlaubsplanung gesprochen hat. Lynn hat damals gesagt, sie brauche keinen Urlaub, sie arbeite gern, die anderen Zimmermädchen haben ein wenig die Augen verdreht, aber die Hausdame hat darauf bestanden, dass Lynn ihr einen Zeitpunkt nennt, Lynn hat mit den Achseln gezuckt und einen Termin möglichst weit entfernt genannt. Sie weiß gar nicht mehr, wann genau.
»In acht Wochen«, sagt Heinz, als hätte er Lynns Gedanken erraten. »Also, was machst
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