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Das Zimmermaedchen

Das Zimmermaedchen

Titel: Das Zimmermaedchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Orths
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weiß, dass es nur eine Vermutung ist, aber sie klammert sich daran und hofft, dass sie sich nicht täuscht. Sie verlässt das Eden durch den Hinterausgang, biegt aber nicht wie üblich in die Maria-Hilf-Straße, sondern geht ums Hotel herum, zurück zum Haupteingang. Dort, gegenüber, gibt es eine dunkle Sackgasse, in die sie sich verkriechen kann, Lynn wird nicht gesehen werden, sie kann hier stehen und warten, das ist eine Höhle, das Maul eines Wals. Lynn kann inzwischen gut warten. Hat das Warten gelernt, Warten auf Menschen, die ganz langsam in die Nacht kriechen. Die mit sich selbst reden und grunzen und fernsehen und Wasser trinken. Und während Lynn dort steht und wartet, denkt sie an den Ehering, Silvia und Ludwig, denkt an die Frau auf dem Bild, denkt daran, wie Silvia zu Hause sitzt, ohne zu wissen, dass ihr Leben anders aussieht, als sie glaubt.
    Der Mann verlässt das Hotel. Lynns Vermutung bewahrheitet sich: Er übernachtet nicht im Eden, er hat das Zimmer nur für den Abend gemietet. Muss reich sein. Geld spielt für ihn keine Rolle. Kein Strichmädchen, sondern Chiara, kein Stundenhotel, sondern das Eden. Der Name des Manns ist Ludwig Maurer, laut Ausweis. Ludwig, sagt Lynn in die Nacht. Ludwig, Ludwig Maurer. Es läuft nun alles ab wie im Film, denkt Lynn, so, wie ich es oft schon gesehen hab, genauso soll es ablaufen, ich weiß, was zu tun ist und welchen Satz ich zu sagen hab, ich weiß, wie die Schauspieler den Satz, den ich zu sagen hab, betonen, und deshalb wird es nicht schwer sein, es zu tun. Ludwigs Wagen ist vom Hotelparkplatz geholt worden. Der alte Kunz steigt aus, in roter Uniform, reicht Ludwig den Schlüssel und nimmt diskret einen Trinkgeldschein entgegen. Ludwig fährt los, Lynn steigt in eins der Taxis, die vorm Hotel bereitstehen, und dann sagt sie ihren Filmsatz: »Folgen Sie dem blauen BMW .«
    Der Taxifahrer schnauft durch die Nase.
    »Was soll das werden?«
    Lynn schweigt, der Fahrer schüttelt den Kopf und gibt Gas. Ludwig Maurer, dieser Name, denkt Lynn, dieser blöde Name. Als Ludwig auf eine Schnellstraße biegt, raus aus der Stadt, zeigt der Fahrer auf den Taxameter und sagt, so eine Verfolgung kann ganz schön teuer werden, wenn man nicht weiß, wo’s hingeht. Lynn starrt durch die Windschutzscheibe, als könne sie mit ihrem Blick Ludwig zurückhalten. Irgendwann werden ihre Augen müde. Sie lehnt sich zurück. Wenn sie die Augen schließt, ist es, als tauche sie in eine Unterwasserwelt. Wenn es dunkel ist, vor ihr, in ihr, dann sieht sie die Dinge erst richtig.
    Der Taxameter zeigt 22, als der Fahrer Lynn dazu bringt, die Augen zu öffnen. Ludwig Maurer passiert das gelbe Schild mit dem Namen eines Vororts. Der BMW nähert sich einem Haus. In der oberen Etage brennt Licht. Ludwig biegt in die Einfahrt ein, Garage öffnet sich elektronisch, der BMW verschwindet. Ludwig taucht nicht wieder auf, aber weitere Lichter gehen an. Lynn sieht Schatten hinter den Gardinen.
    »Wollen Sie die ganze Nacht hierbleiben?«, fragt der Taxifahrer.
    Ist rechts rangefahren inzwischen.
    »Augenblick noch«, sagt Lynn.
    »Das Dingen läuft«, sagt der Fahrer und weist mit dem Kinn auf die grünen Zahlen vor ihm.
    Nach zehn Minuten tritt eine Frau, es muss Silvia sein, auf den Balkon, sie trägt einen Bademantel, ihre Haare sind kurz. Sie bläst Rauch in die Nacht und blinzelt in die Dunkelheit. Lynn weiß nicht, ob Silvia Maurer das Taxi von dort oben erkennen kann. Die nächste Laterne ist ein Stück weit weg. Lynn wartet kurz. Dann sagt sie dem Fahrer, er soll zurückfahren. Die Lichter werden aufgeblendet, der Motor surrt. Silvia, das sieht Lynn jetzt deutlich, schaut dem Taxi hinterher und wird sich wundern, denkt Lynn, ein Taxi, hier, um diese Zeit, da stimmt was nicht.
    »Und jetzt?«, fragt der Fahrer. »Wohin?«
    »Zurück. Kohlhaldenstraße 7. Schaffen wir das für fünfzig?«
    »Könnte hinkommen.«
    Die fünfzig werden mir fehlen, denkt Lynn. Am Samstag, wenn ich Chiara bezahle. Ich muss meine Uhr verpfänden.
    Der Fahrer grummelt.
    »Was?«, fragt Lynn.
    »Ist schon ein Kreuz«, sagt der Mann.
    »Was meinen Sie?«
    »Alles«, sagt er.

10
    A m Mittwoch Endlosigkeit des freien Tags, . Putzen der eigenen Wohnung, Müdigkeit, schlafen, schlafen, schlafen, am Nachmittag zum Pfandhaus, und jetzt? Zu Silvia fahren? Ihr die Wahrheit sagen? Nein, denkt Lynn, nicht heute, nicht jetzt, zu müde immer noch, später, später, irgendwann, an einem anderen Tag.
    Donnerstag der Mutter-Anruf,

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