Das zitternde Herz
Idee kam, ihre Enttäuschung darüber zu äu-
ßern, daß Kate nicht kam, um die Kinder abzuholen.
»Geht’s dir nicht gut?« fragte Jane, gewissermaßen rhetorisch, da es Kate ganz offensichtlich nicht gut ging. »Leslie ist in der Küche und verhindert – von Babynahrung zugekleistert – Tierquälerei. «
Beunruhigt folgte Jane Kate in die Küche.
Leslie blickte überrascht auf. »Was ist los?« fragte sie, offenbar auf das Schlimmste gefaßt. Leslie, Kates beste Freundin, wußte, daß diese erstens niemals einfach so hereinplatzte, ohne sich vorher anzukündigen, denn solches Benehmen hielt sie für unzivilisiert; und zweitens, daß sie gewiß nicht diesen Nachmittag gewählt hätte, um sich diesbezüglich zu ändern, denn Leslie hatte Kate von ihrer, Leslies, Verpflichtung, ihre Enkelsöhne zu hüten, erzählt. Kate war für ihren Mangel an Kinderliebe mehr als bekannt.
Diese Gedanken waren Sache von ein paar Sekunden. Sie wandte sich von den Kindern ab, ging zu Kate und schob sie auf einen Stuhl.
»Ich mache uns Tee«, sagte sie. »Stark und süß, gegen Schock.«
»Ich mach das schon«, sagte Jane. »Es sei denn, ihr beide wollt lieber unter euch sein.«
»Reed ist weg«, sagte Kate.
»Hat er dich verlassen?« fragte Jane. Leslie starrte sie wütend an.
»Nicht mich verlassen. Er ist weg, verschwunden – entführt, wenn du es ganz präzise haben willst.«
Sogar die Jungen waren still, als spürten sie die Spannung. Dann begann das Baby zu weinen, die Mundwinkel zogen sich nach unten, die Augen verdrehten sich, ein Bild des Jammers. Die Augen des älteren Jungen weiteten sich wie aus Mitgefühl, eine Träne rollte langsam über seine Wange. Die Katze ging hinaus, ihr war die Stimmung gleichgültig.
Jane setzte den Kessel auf und wartete, bis das Wasser kochte.
Sie persönlich hätte Brandy empfohlen, aber vielleicht hatte Leslie recht. Leslie, die älter und von häufigeren familiären Katastrophen betroffen war, hatte mehr Krisenerfahrung als Jane.
»Erzähl der Reihe nach«, sagte Leslie. Sie und Kate hatten so manche Prüfung zusammen durchgestanden, auch wenn Leslie den Eindruck hatte, daß das Lachen in ihren Gesprächen überwog. Anfangs verzweifelt, lachten sie am Ende meistens – nichts jedoch, nicht einmal, als Leslie ihren Mann verlor und sich mit einer Frau zusammentat, schien so schlimm wie dies. Gott bewahre, daß Reed, der ganz und gar nicht der Typ für so etwas war, eine dieser Männer-Lebenskrisen hatte und mit einer jüngeren Frau davongelaufen war, oder, dachte sie plötzlich, mit einem Mann. Lieber Himmel!
»Wir wollten uns um halb sieben in einem Restaurant treffen und in ein Konzert ins Lincoln Center gehen. Reed kommt nie zu spät, jedenfalls nie sehr, also habe ich nach einer Weile den Portier in unserem Haus angerufen, um herauszufinden, ob Reed es vielleicht vergessen hatte und mich direkt dort treffen wollte. Der Portier sagte, er habe Mr. Amhearst den ganzen Tag nicht gesehen. «
Der Tee war jetzt fertig, doch Kate war kaum zu überreden, auch nur einen Schluck zu trinken. »Er ist heiß«, sagte sie.
»Eben«, erwiderte Leslie. »Nimm wenigstens einen kleinen Schluck.« Kate gehorchte und nippte.
Unterdessen gaben die Jungen ihren Kümmernissen stimmhafte-ren Ausdruck. Jane sammelte sie ein; das Baby auf dem Arm, den älteren Jungen an der Hand, verließ sie das Zimmer.
Leslie war dankbar und schrecklich besorgt um Kate, doch nichtsdestotrotz kam ihr der fürchterliche Gedanke, daß sie hierfür würde bezahlen müssen. Ich werde zum Monster, dachte sie bei sich.
»Erzähl weiter«, sagte sie zu Kate.
»Dann rief ich im Juristischen Institut an. Sein Assistent Nick, ein sympathischer junger Mann, den ich einmal kennengelernt habe, schien überrascht, daß ich anrief. ›Nein‹, sagte er, ›ich habe Reed vom Fenster aus gehen sehen, er sagte, er ginge mit Ihnen in ein Konzert, und ich dachte, wie nett, während ich den Abend mit Büf-feln verbringen muß. Dann stieg er in die Limousine und fuhr davon.
‹
›Was für eine Limousine?‹ fragte ich natürlich. Reed bestellt Limousinen nur, um zum Flughafen zu fahren. Nick sagte, er dachte, die Männer in dem Wagen hätten auf Reed gewartet und ihn einer Verabredung entsprechend mitgenommen. Er kannte die Männer nicht, und als ich ihm sagte, daß Reed mich in dem Restaurant treffen sollte, wurde er still. ›Sie sollten das nicht überbewerten, Kate‹, sagte er, ›aber jetzt, wo wir darüber sprechen,
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