Das zitternde Herz
anrufen.«
»Telephonier nicht. Gib mir eine Nachricht mit, und ich überbringe sie. In diesen Cyberspace-Zeiten ist keinem einzigen Telephon zu trauen. Wenn ich paranoid bin, bitte, Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste, wie meine Mutter zu sagen pflegte.«
Kate schrieb die Nachricht auf.
2
Als Harriet Fürst eintraf, merkte Kate, daß sie sie viel zu lange –
Monate – nicht gesehen hatte. Sie hatten sich kennengelernt, als beide zeitweilig an der Schuyler Law School beschäftigt waren, Kate in ungewohnter Rolle und ungewohnter Umgebung, Harriet mit neuer Identität und in einem neuen Leben, was sie augenscheinlich auf wunderbare Weise in die späteren Dekaden des Lebens katapul-tiert hatte. Die Freundschaft, die beide geschlossen hatten, war dau-erhaft, aber sie waren beide sehr beschäftigt, und keine hatte, wie Kate bedauernd realisierte, in letzter Zeit die andere angerufen. Sie erwähnte das Harriet gegenüber.
»Also, hier bin ich, als Antwort auf einen Liebesbrief. Eigentlich viel besser als ein Anruf. Was gibt’s, meine Liebe, was kann ich tun?«
»Ich dachte, vielleicht könntet ihr, du und deine Privatdetektiv-Kollegin, mir helfen. Harriet, ich weiß wirklich nicht, was ich tun soll.«
»Erzähl von Anfang an – was geschah wann? « fragte Harriet.
»Letzte Nacht. Und es scheint, als hätte jede Stunde eine Woche gedauert.« Kate zwang sich, ruhiger zu erscheinen und zu sprechen, als sie sich fühlte, und erzählte Harriet die ganze Geschichte, was kaum sechs Sätze beanspruchte. Harriet hörte aufmerksam zu.
»Jetzt erzähl du mir, wie du dazu kamst, in eine Detektivkanzlei einzusteigen«, fügte Kate hinzu. Sie überlegte nicht groß, was sie mit dieser Frage bezweckte – wollte sie Harriet hinhalten (Handeln war gefährlich) oder wollte sie entscheiden, ob sie Harriet in ihrem neuen Beruf vertrauen sollte oder nicht.
»Meinst du nicht, wir sollten Toni, meine Kollegin, anrufen und sie herbeordern?«
»Ja. Und in der Zwischenzeit erzähl mir, wie das alles zustande-kam. Du bist natürlich die perfekte Privatdetektivin.«
»Das hat Toni auch gesagt. ›Du bist imstande, dich unbemerkt in der Welt zu bewegen, mit jener Unsichtbarkeit, die das Alter in unserer Gesellschaft umgibt‹, sagte sie. Ich fand das ziemlich pfiffig von ihr. «
»Wie hast du sie kennengelernt? Auf eine Annonce geantwortet?«
»Wohl kaum.« Harriet musterte Kate intensiv und kam zu dem Schluß, daß Reden das Hilfreichste war, was sie tun konnte, während sie warteten. »Toni (ihr richtiger Name ist Antonia – ich hatte gehofft, nach dem Roman von Willa Cather, aber Toni sagte nein) arbeitete in dem PC- und Kopierraum, den ich, wie du dich lebhaft erinnern wirst, in dieser elenden Schuyler Law School betrieb. Ich hatte sie nicht mehr gesehen, seit ich dort weg war, aber plötzlich meldete sie sich wieder und bot mir einen Job in ihrer Detektivkanzlei an. Die Kanzlei sollte aus Toni und mir bestehen, und falls sich das bewährte, nach einem Jahr oder so, sollte ich ihre Partnerin werden. Natürlich war ich einigermaßen perplex, als sie mir ihren Vorschlag unterbreitete. Wir trafen uns in dem Büro, das Toni für ihr neues Unternehmen angemietet hatte. Es war klein und sah genau wie eine Privatdetektivkanzlei aus, das heißt, es entsprach meiner Vorstellung, die, wie vielleicht auch bei Toni, von Filmen über männliche Detektive herrührte. Es gab zwei Schreibtische, zwei Besucherstühle, ein ziemlich eingeschmutztes Fenster und einen Aktenschrank. Auf einem der Schreibtische thronten ein Laptop, ein Telephon und ein Faxgerät. Der andere schien hoffnungsvoll auf die Ankunft seines Benutzers zu warten.« Harriet hielt inne, um Kate mitfühlend anzulächeln, bevor sie fortfuhr.
»Was mich an der ganzen Sache wirklich erstaunte, war Tonis Aussehen – nein, nicht so sehr ihr Aussehen, vielmehr ihre Kleidung und ihr Make-up. Als ich sie an der Schuyler kennenlernte, war sie dünn und ziemlich ungelenk, sie trug immer Jeans und je nach Witte-rung viel zu große T-Shirts oder Sweatshirts. Jetzt sah sie aus wie jemand, den man vielleicht in einer dieser Frauenzeitschriften porträ-
tieren würde, in denen es vor allem um Mode und um Wie-mache-ich-das-Beste-aus-meinem-Typ geht, wenn man will, daß einen jeder entweder bewundernd oder entsetzt anstarrt. Also, ich starrte Toni zweifellos an. Statt dünn war sie jetzt elegant. Ihre Kleider waren, selbst für mein ungeübtes Auge, in ihrer teuren Schlichtheit
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