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Das zweite Gesicht

Titel: Das zweite Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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kauerte am Boden über dem Verletzten und hatte einen Finger tief in eine klaffende Schnittwunde an Maskens Oberschenkel geschoben. Masken brüllte wie am Spieß. Er lag auf dem Bau c h, ein Arm war zwischen seinem Kö r per und der Korridor w and eingeklem m t , der andere fächerte ziellos hin und her. Seine Beine zuckten. Der Junge saß im Schneidersitz auf seinem Rücken, das Gesicht Maskens Füßen zugewandt – und Chiara, die in diesem Mo m ent aus der Kabine trat.
    Her m anns Taschenla m pe war d i e einzige Li chtquelle. Sie rollte vor und zurück, i h r Schein geisterte über die Szene wie Blitz s chläge. W enn Dunkelheit den Jungen u m hüllte, e r tönte das Kichern; f i e l Licht auf s e ine Züge, waren sie starr und ausdruckslos.
    Maskens Schreie ris s en nicht ab. E s gelang ihm nicht, den Jungen abzuschütteln. Es war, als presste der Junge auf seinem Rücken ihn m it ungeheurem Gewicht zu Boden; dabei konnte der Kleine kaum m ehr wiegen als ein ausgewachsener Hund.
    »Steh auf!«, sagte Chiara und wiederholte es noch ein m al, dies m al lauter: » Steh auf, verdammt!«
    Der Junge blickte zu ihr hoch. Sie sah es nur an der Bewegung, sein Gesicht lag w i eder im Schatten. Dennoch hörte das Kichern auf, als er den F i nger aus der W unde zog und Chiara den Arm entgegenstreckte.
    Sie holte aus, um ihn zu schlagen, ihn notfalls m i t Gewalt von Masken h erunterzuzerren, aber im selben Mo m ent hörte sie Julas Sti m m e. Sie rief etwas in der Sprache des Jungen. Sie klang schwächer als vorhin. W ar Masken bei ihr gewesen, während Chiara m it He r m ann gekä m p ft hatte? Nein, dachte sie, so v i el Kraft ha t t e er nicht m ehr.
    »Chiara, lass ihn …!«
    Sie zögerte nur einen Augenblick, dann packte sie den Jungen an der Schulter und zerrte ihn von seinem Opfer herunter. Masken blieb liegen, s eine Schreie gi n gen in ein Röcheln über, vielleicht versuchte er, W orte zu for m en, aber Chiara hörte nicht zu, sondern ließ den Jungen los und ging weiter. Vor ihr schälte sich vage die Wendeltreppe aus der Finster n is, nur wenige Schritte dahinter be f and sich die Tür von J u las Ka b ine. Sie hätte die Taschenla m pe aufh e ben sollen.
    Etwas prallte gegen ihren Rücken. Sie schrie auf, als der Junge sich m it A r m en und Beinen an ihrem Oberkörper festklam m e r t e und m it der La m pe a uf ihren Kopf schlug, so fest, dass ihr schwarz vor Augen wurde.
    Sie war nicht wirklich bew u sstlos, nur benom m en, und ihre Blindheit m ochte ebenso gut an dem fehlenden Licht im Korridor liegen wie an dem Schlag auf ihren Schädel. Ihr Hinterkopf pochte, ihre r echte Gesichtsh ä l f te bran n t e wie Feuer. Sie musste beim Sturz an etwas vorübergeschram m t sein, an einer Metallkante der Wendeltre p pe. Ihre Ha n d zuckte zurück, als s i e die Ränd e r einer P l atz w unde berührte.
    Und dann war da doch Licht, nur ein wenig, aber es reic h t e aus, sie erkennen zu lassen, d ass sie in der Tat für einen Augenblick besinnungslos ge w esen war.
    Masken lag nicht m ehr hin t er ihr. Der Junge zog ihn rücklings in die Richtung von Julas Kabinentür.
    Chiara versuchte sich hochzurappeln, aber ihre Knie gaben nach, und sie musste sich m it beiden Händen abfangen.
    Der Kabinentür schlug zu.
    Chiara w a r allein auf dem Gang, in G r ei fw eite d e r La m pe, deren Licht bereits blasser wurde. Sie brauc h te noch einen Mo m ent, um ihre Reserven zu sam m eln, dann
    stem m t e sie sich in einer g e waltigen Anstrengung auf die Füße. Mit beiden Händen tastete sie sich an der Korridorw a nd entlang. Bei jed e m Schritt ertö n t e ein hohles Pochen, wenn sie m it der La m pe gegen d i e Holztä f elu n g stieß. Der Lichtsc h ein f ächerte zi ellos üb e r die Decke.
    Hinter der T ür herrschte Stille.
    »Jula«, brachte sie m ühsam hervor, aber vielleicht hörte sie es a u ch n ur selb s t .
    Sie ließ eine Hand auf die Klinke fallen, und die Tür gab nach. Lautlos schwang sie nach innen.
    Der Gestank nach Siechtum war ate m berauben d , ver m ischt m it etwas, das wie ver f ault e s Obst roch, gesättigt m i t einer schweren, fettigen Wä r m e.
    Breitbeinig kam sie im Türrah m en zum Stehen, stützte sich m it der Linken am Pfosten ab und richtete m it der anderen Hand den Lichtschein in die Dunkelheit.
    »Nicht«, sagte Jula, aber Chiara hörte nicht auf sie.
    Zuerst sah sie nur den Jungen, der im Schneidersitz am Fußende eines zerwühlten Bettes saß und kaum m erklich vor und zurück

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