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Das zweite Königreich

Das zweite Königreich

Titel: Das zweite Königreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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Mann aufzutragen. Er ist mein bester Freund, Lucien würde es glauben.«
    Marie warf ihm einen kurzen Blick zu. »Du bist kaltblütiger, als ich gedacht hätte. Und weitaus durchtriebener.«
    Er hörte kaum hin. Durchtrieben, ja, vielleicht, aber wenn sein Blut in diesem Augenblick kalt war, dann vor Furcht.
    Zwei Talglichter brannten in mannshohen Ständern links und rechts des Fensters und tauchten den spärlich möblierten Raum in warmes, ruhiges Dämmerlicht. Niemand war dort; Marie hatte die Mägde fortgeschickt. Sie konnten nichts tun und störten mit ihrem nervösen Getuschel nur die Ruhe der Wöchnerin. Der dunkle Bettvorhang war geschlossen. Cædmon schob ihn zurück.
    Die grünen Augen, die ihm entgegenstarrten, waren riesig und glänzten vor Fieber. Ihr Gesicht wirkte ausgezehrt, als leide sie schon lange an einer schweren Krankheit. Er sank neben ihr auf die Bettkante und strich ihr die verklebten Haare aus der Stirn, um nicht zu zeigen, wie erschüttert er war.
    »Cædmon.«
    »Hier bin ich, Liebste.«
    Sie nahm seine Hand und verschränkte ihre klammen, schmalen Finger mit seinen. »Unser Kind ist tot. Und ich glaube, es will mich mitnehmen. Gott straft uns für unsere Sünde.«
    Er führte ihre Hand an seine Lippen. »Bestimmt nicht. Wir haben niemanden verletzt als nur uns selbst, so groß kann sein Zorn nicht sein.«
    Sie hob die Linke zu einer matten, abwehrenden Geste. »Doch, das ist er gewiß. Aber … das habe ich mit einkalkuliert. Nur nicht so bald …« Er beugte sich über sie, wagte kaum, sie anzurühren, und küßte federleicht ihre Lippen. »Stirb nicht«, flüsterte er und schloß für einen Moment die Augen. »Bitte.«
    »Sei nicht unglücklich, mein Herz.«
    Marie trat lautlos ans Bett. »Ihr solltet nicht soviel reden, mein Kind. Cædmon, es wird Zeit, daß du dich verabschiedest.«
    Aliesas Finger schlossen sich fester um seine. »Nein. Geh noch nicht.« Er sah genau, daß sie ihn um etwas bitten wollte, und nach einem Augenblick ging ihm auf, was es war. »Ist es Bischof Odo? Soll ich ihn dir holen?«
    Sie nickte. »Woher weißt du …?«
    »Das erkläre ich dir ein andermal. Es wird einen Tag dauern, Aliesa.« Oder zwei. »Versprich mir, daß du so lange durchhältst.«
    Der Anflug eines Lächelns erschien in ihren Mundwinkeln, doch im nächsten Moment verzerrte sich ihr Gesicht, ihre Nägel krallten sich in seinen Handrücken, und sie gab ein schwaches Wimmern von sich. Cædmon sah erschrocken zu seiner Mutter auf, die näher trat und ihre ineinander verschränkten Hände energisch trennte. »Du mußt jetzt gehen.«
    Unwillig ließ er sich zur Tür schieben, blieb stehen und sah noch einmal zum Bett zurück.
    »Was ist es?« fragte er Marie wispernd.
    »Was soll es schon sein? Wehen natürlich.«
    »Aber sie sagt, das Kind sei tot.«
    »Deswegen muß es trotzdem heraus, oder? Es ist vermutlich schon seit Tagen tot, und ihr Körper versucht, es abzustoßen. Aber …«
    »Aber?«
    »Bei allen Heiligen, Cædmon, geh endlich«, zischte sie beinah tonlos. »Verstehst du nicht, daß es nicht schicklich ist, mit dir darüber zu reden?«
    Sie legte die Hand auf seine Schulter und wollte ihn hinausschieben, aber er schüttelte die Hand ab.
    »Das ist mir gleich. Sag es mir!«
    Seine Mutter verdrehte ungeduldig die Augen, gab aber nach und erklärte flüsternd: »Es kommt mit den Füßen zuerst. Der Kopf ist steckengeblieben. Darum wird sie verbluten. Wenn ich versuche, es herauszuziehen,wird der Kopf abreißen, in ihrem Leib verfaulen und sie vergiften. Ist deine Neugier damit befriedigt?«
    Er starrte sie an, zutiefst entsetzt. Für einen Moment haßte er seine Mutter für die kühle Nüchternheit, mit der sie ihm diese grauenhaften Tatsachen darlegte, haßte vor allem sein totes Kind für die tierhafte, sinnlose Grausamkeit, mit der es seine Mutter tötete. Dann wandte er sich ab, floh die Treppe hinab, aus der Halle und in den nächtlichen Hof hinaus.
    Als er den halben Weg zwischen dem Hauptgebäude und dem Tor zurückgelegt hatte, blieb er stehen, atmete die kalte, belebende Nachtluft in tiefen Zügen und dachte nach, schnell und präzise. In seinem Kopf schien eine gleißend helle Fackel zu lodern, und er wußte genau, was er zu tun hatte.
    Mit langen, entschlossenen Schritten ging er zur Kapelle.
    Im Innern des kleinen Gotteshauses war es wie immer dunkler aus draußen. Cædmon ging auf die wenigen Kerzen am Altar zu, entdeckte die knieende Gestalt davor und trat zu ihr.
    »Lucien

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