Das zweite Königreich
auch noch unreine Hände sie berühren, an denen das Blut unseres Herrn Jesu Christi klebt?«
Cædmon fürchtete, Malachias werde auf dem Absatz kehrtmachen, und wandte sich zu ihm um. Der junge Arzt stand reglos mit verschränkten Armen im dämmrigen Korridor, das Kinn trotzig angehoben, und die dunklen Augen funkelten. Cædmon verstand nur zu gut, was er empfand, war er doch selbst ungezählte Male das Objekt dieser ganz speziellen Art normannischer Verächtlichkeit gewesen. »Ich hoffe, Ihr akzeptiert meine Entschuldigung, Malachias ben Levi«, sagte er verlegen.
Malachias nickte knapp.
Cædmon drehte sich zu seiner Mutter um, die immer noch versuchte, mit ihrer zierlichen Gestalt die Tür zu versperren. »Bitte, laß ihn eintreten.«
»Wenn du diesen Mann über diese Schwelle läßt, werde ich die Königin wecken und die Wache alarmieren.«
»Tu das. Ich bin sicher, die Königin wird meinen Schritt gutheißen, sie liebt Aliesa sehr. Und ich weiß, daß sie Levi den Juden schätzt, es ist noch keine zwei Wochen her, daß sie ihn hier empfangen hat. Und jetzt sei so gut …«
Ein schwacher Laut ertönte hinter dem Bettvorhang, halb kraftloser Schrei, halb Schluchzen. »Cædmon …«
Seine Brust zog sich zusammen, es fühlte sich tatsächlich so an, als zerreiße es ihm das Herz, und er tat, was er nie für möglich gehalten hätte: Er legte die Hand um den Oberarm seiner Mutter, drängte sie behutsam, aber bestimmt aus dem Türrahmen und trat über die Schwelle. »Kommt, Malachias, ich bitte Euch.«
Der Arzt folgte ihm wortlos zum Bett. Cædmon ergriff Aliesas Hand. Sie war eiskalt. »Ich habe jemanden hergebracht, der dir vielleicht helfen kann.«
Sie nickte, kniff die Augen zu und weinte stumm.
Malachias berührte ihn kurz an der Schulter. »Macht Platz, Thane. Am besten, Ihr wartet draußen.«
Aliesa ließ Cædmons Hand los, schlug die Augen wieder auf und sah in das fremde Gesicht mit den seltsamen Schläfenlocken. Dann sagte sie zu Cædmon: »Geh nur.«
Zögernd trat Cædmon vom Bett zurück. Aus dem Augenwinkel sah er, daß Malachias die Decke zurückschlug und sich über Aliesa beugte. Er stellte ihr eine Frage, so leise, daß Cædmon ihn nicht verstand. Er hörte Aliesa wieder stöhnen und vergrub das Gesicht in den Händen.
»Besser, du verschwindest«, raunte seine Mutter ihm höhnisch ins Ohr. »Damit du sie nicht schreien hören mußt, wenn dieser Barbar sie aufschneidet.«
Cædmon ließ die Hände sinken und starrte sie fassungslos an.
»Das hast du nicht gewußt? Nun, vielleicht hättest du mich fragen sollen, ehe du ihn herbrachtest. Denn das ist es, was sie mit den Frauen tun, du ahnungsloser, liebeskranker Schwachkopf!«
Cædmon fühlte eine elende Schwäche in den Beinen und fürchtete einen Moment, er werde in Ohnmacht fallen.
Dann richtete Malachias seinen langen Oberkörper auf und drehte sich zu ihnen um. »Nein, Madame, ich glaube, das wird in diesem Fall nicht nötig sein. Aber ich brauche Hilfe. Wollt Ihr es tun und vielleicht nochetwas lernen? Oder seid Ihr zu stolz dazu? In dem Fall bräuchte ich Euch hier, Thane.«
Marie de Falaise bedachte Malachias mit einem Blick, von dem man wahrhaft zu Stein erstarren konnte, und schob ihre Ärmel über die Ellbogen hoch. »Du bist ja immer noch hier, Cædmon …«
Westminster, Februar 1071
»Und warum sollten die Londoner nicht in der Lage sein, mir die gleiche Summe an Steuern zu bezahlen wie meinem Cousin Edward vor mir, könnt Ihr mir das erklären?« fragte der König und bedachte Warenne mit einem mißfälligen Stirnrunzeln, weil er schon wieder von den kandierten Maronen nahm. »Wenn Ihr so weitermacht, werdet Ihr fett, Monseigneur.«
Warenne verzichtete darauf zu entgegnen, daß der König selbst derjenige war, der immer mehr in die Breite ging – eine Tatsache, die allgemein Verwunderung und Kopfschütteln erregte, weil er doch so mäßig aß und trank –, und stellte die Schale mit den Maronen auf der Fensterbank ab.
»Sie behaupten, die Stadtbevölkerung sei so geschrumpft, daß sie die Summe einfach nicht aufbringen können«, erklärte er verächtlich und zog die Nase hoch. Dieser Mann scheint einfach immer erkältet zu sein, fuhr es Cædmon durch den Kopf.
»Cædmon, reitet in die Stadt, geht in die Zunfthäuser und richtet den Leuten aus, für jeden Schilling, den sie mir schuldig bleiben, verlange ich nächstes Jahr zwei«, brummte der König. »Und wenn es noch einmal vorkommt, daß ein normannischer
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