Das zweite Leben
kalt waren. Alice hatte sich große Sorgen um die Patienten, ihre Prüfungen und eine Menge anderer Dinge gemacht und deshalb verschlossen gewirkt.
Das alles war vorbei. Es gab keine Alice mehr, keine Spiele in einem von Leben erfüllten Meer, kein duftendes Gras, in dem die beiden Verliebten liegen und sich die Sonne auf die Haut brennen lassen konnten. Ross konnte die Realität nicht verdrängen, und die Gedanken an die Vergangenheit machten letztlich alles noch schlimmer. Bisher hatte er nicht einmal gewußt, was Einsamkeit war. Alle Freunde, alle Menschen, die ihm etwas bedeutet hatten, waren von ihm genommen worden. Für Ross waren seit dem Augenblick, in dem Pellew ihm alles Gute wünschte und Alice ihn zum letztenmal küßte, nur wenige Stunden vergangen. Immer wieder gelangte er an jenen Punkt, an dem er sich endgültig das Leben nehmen wollte. Doch die Gewißheit, daß 5B ihn beobachtete und jeden Selbstmordversuch im Keim ersticken würde, und der aufflackernde Haß auf das grausame Schicksal, das nicht auch noch über ihn triumphieren sollte, hielten ihn jedesmal davon ab.
Es kam der Tag, an dem Ross’ Verzweiflung ihren Höhepunkt erreichte, an dem es für ihn nur noch aufwärts gehen konnte, in einer Welt, die nichts für ihn bereithielt. Nicht, daß er sich Hoffnung auf eine bessere Zukunft machte. Aber er hatte alle Höhen durchlebt und einen Wendepunkt erreicht. Ross beruhigte sich allmählich. Er hatte sein Schicksal akzeptiert und mit der Vergangenheit abgeschlossen. Sein Lebenswille erwachte, und er ertappte sich dabei, sogar eine gewisse Freude zu empfinden, wenn die Schwester erschien. Eigentlich konnte er sich nicht beklagen. Er hatte Hunderte von Robotern und ein ganzes Hospital zu seiner Verfügung. Er kam auf den Gedanken, eine Bestandsaufnahme zu machen. Es würde ihn ablenken und ihm guttun. Außerdem gab es noch vieles, was er wissen wollte. Ross’ Apathie schlug in Neugier um. Er bat 5B, ihm Lesestoff zu bringen, und da er sich mit einem Buch kaum umbringen konnte und die Schwester offensichtlich die Veränderung seines Zustands bemerkte, brachte sie ihm das Gewünschte.
Natürlich verlangte Ross zuerst Pellews Tagebuch. Er las aufmerksam jede Zeile und verglich die Aufzeichnungen mit den Notizen in der grünen Mappe. Bald kannte er die Geschichte des Hospitals auswendig. Pellews letzte Eintragungen waren direkt an ihn gerichtet. Der Doktor mußte gewußt haben, daß er der einzige Überlebende sein würde, und hatte ihm Ratschläge und Arbeitsanweisungen gegeben.
Ross ließ sich Bücher bringen, die Pellew ihm zum Studium empfohlen hatte, Lehrwerke über Kybernetik und Robotik. Einige waren so allgemein verständlich gehalten, daß auch Ross ihren Inhalt begriff. Er las sie mit zunehmendem Interesse und begann Pläne für die Zeit zu machen, in der die Schwester ihn wieder mit »Sir« anreden würde.
Der Tag kam früher als erwartet. 5B erschien und stellte drei Konservenbüchsen auf den Tisch.
»Haben Sie Anweisungen für mich, Sir?«
Ross zögerte nicht lange. Fast zu hastig gab er seine Befehle. Zuerst verlangte er eine Liste aller Patienten, die seit Pellews Tod gestorben waren, und deren Krankenberichte. Er erwartete nicht, Überlebende zu finden, denn 5B hatte versichert, daß es keine gab. Doch Pellews Satz, er sei der einzige Überlebende mit medizinischer Erfahrung ging ihm nicht aus dem Kopf. Was war mit jenen, die keine medizinische Erfahrung hatten? Der Punkt mußte geklärt werden. Hatte Pellew erwartet, daß es weitere Überlebende geben würde? Dann wies Ross die Schwester an, ihm eine Aufstellung aller verfügbaren Roboter im ganzen Hospital zu machen, die ihre Nummern, Typenbezeichnung, Spezialaufgaben und den Intelligenzgrad enthielt. Als drittes verlangte er einen Bericht über die Wasser-, Nahrungs- und Energievorräte. Inzwischen wußte er, daß 5B seine Anordnungen ohne Zeitverlust an die anderen Roboter senden würde.
»Säuberungs- und Instandhaltungsroboter sollen alle verwüsteten oberen Etagen in Ordnung bringen, vor allem die Aufzüge und Kommunikationssysteme«, sagte er schließlich. »Außerdem muß ein kleiner Teil der Erdoberfläche vom Staub befreit werden. Dazu brauche ich Bodenproben. Es muß drei Meter tief gebohrt werden. Deine Robotfreunde sollen die Luft und das Meerwasser analysieren und mir genau Bericht erstatten. Sind sie dazu in der Lage?«
»Nein, Sir. Aber es gibt Krankenschwestern, die dies können.«
»Sehr gut.« Ross richtete
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