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Das zweite Leben

Das zweite Leben

Titel: Das zweite Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James White
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war nicht mehr als fünfzig Meter – war der Boden kahl, grau und schwarz. Geschmolzenes Gestein und zentimeterdicke Asche, die vom glasierten Fels gewirbelt wurde und dunkle Schleier in der lebensfeindlichen Atmosphäre bildete. Die Sonne stand hoch am Himmel, ein dunkelroter Fleck mit einem weiten Ring. Von der einen halben Kilometer entfernten Küste drang das Rauschen von Wellen an Ross’ Ohren.
    Wie oft war er dort hinausgeschwommen, allein, mit Freunden oder mit Alice. Wieviel Spaß hatten sie gehabt. Das unendliche Meer, die Mutter allen Lebens auf der Erde – Ross setzte sich unwillkürlich in Bewegung. Er merkte nicht, wie er einen Fuß vor den anderen setzte, über glasierten Stein hinweg seinen Weg durch die Aschenebel bahnte. Sein Verstand weigerte sich, das Schreckliche zu akzeptieren. Dann stand er am Strand. Die Sonne war heller, und die Sicht reichte fast einen Kilometer weit. Über dem Meer war die Asche nicht so dicht. Eine kühle Brise wehte Ross entgegen, doch das nahm er kaum wahr. Die heranrollenden Wellen waren schwarz wie Tinte. Wenn sie brachen, war der Schaum schmutzig und hinterließ dunkle Flächen. Die kleinen Lagunen waren fast die gleichen, die Ross in Erinnerung hatte, doch das Wasser war ebenfalls mit einer dünnen schwarzen Schicht überzogen, und nichts bewegte sich darin. Kein herangespülter Tang lag am Strand, keine Muscheln oder Quallen.
    Sie haben auch das Meer getötet! dachte Ross bitter. Er mußte sich setzen und fand einen Felsen. Die vor mehr als einem Jahrhundert hier entstandene Atomsonne hatte seine Oberfläche spiegelglatt werden lassen. Es begann zu regnen, und die Aschewolken senkten sich auf den Boden herab, wobei sie die Sicht auf die Roboter freigaben, die sich von dem Hügel mit der Tunnelmündung her näherten. Ross beachtete sie kaum. Minutenlang spielte er mit dem Gedanken, sich ein letztes Mal in die schwarzen Wellen zu stürzen. Doch er war kein Selbstmörder. Der Weltuntergang hatte stattgefunden. Er war wahrscheinlich der letzte lebende Mensch, und die Zukunft hielt nichts für ihn bereit als Einsamkeit oder Wahnsinn.
    Die Roboter bildeten einen Kreis um Ross, und Schwester 5B sagte: »Sie müssen in Ihr Bett zurück, Mr. Ross.« Einer der Instandhaltungsroboter packte den Verzweifelten mit seinen Metallarmen und legte ihn sich auf den Rücken. Dann rollte die Kolonne zurück zum Tunnel.
    Ross begriff, daß er nun wieder Patient war. 5B hatte ihn husten hören und die Schnittwunden gesehen, die er sich während des Aufstiegs zugezogen hatte. Der Roboter mußte seiner Programmierung gehorchen. Ross war nicht länger der diensthabende Arzt, sondern »Mr. Ross«. Und Patienten hatten den Krankenschwestern zu gehorchen, nicht umgekehrt.
    Ross war für siebzehn Tage ans Bett gefesselt.
     
6.
     
    Jeder Befehl, den Ross gab, wurde ignoriert, bis auch der letzte Kratzer verheilt war und die abgeschürfte Haut sich regeneriert hatte. Auch auf Drohungen reagierte 5B nicht – bis auf eine Ausnahme. Ross hatte sich darüber beschwert, daß er nicht einmal für wenige Stunden am Tag aufstehen und Leibesübungen machen oder sich fortbilden konnte, und versucht, den Roboter dadurch gefügig zu machen, daß er mit Selbstmord drohte. 5B hatte nicht wie erhofft reagiert, sondern angekündigt, daß Ross nun noch gründlicher beobachtet werden würde, damit er seine Absicht nicht wahrmachen könnte. Die Zukunft sah für ihn nun noch finsterer aus: Gefangener einer Horde von sturen Maschinen. Ross begann, sich durch alles mögliche abzulenken, machte sich Gedanken darüber, ob er sich die Haare schneiden oder sich neue Kleidung zurechtschneidern sollte. Darum sollten die Roboter sich kümmern, erklärte er der Schwester immer wieder. Doch alles, was nicht zur Genesung des Patienten direkt beitrug, schien für 5B und ihre Helfer nicht zu existieren. Ein paar aufmunternde Worte – das war alles. Die Tage wurden zur Qual. Ross hatte Angst vor den Bildern, die kommen konnten, wenn er die Augen schloß, und versuchte, sich das Hospital so vorzustellen, wie es ihm von früher her vertraut war.
    Manchmal sah er Alice vor sich, die junge Frau mit dem ernsten Gesicht, den kurzen Haaren und den dünnen Lippen. Unnahbar auf den ersten Blick, war sie in der wundervollen Zeit ihres Zusammenseins aufgetaut. Ross erinnerte sich an die Tage, an denen sie zusammen ihre freie Zeit am Strand verbrachten, an den ersten Kuß, als er feststellte, daß ihre Lippen alles andere als dünn und

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