Das zweite Leben
den Instrumenten, an denen sie vorbeikamen. Meist gab der Roboter die erwünschten Informationen, nur manchmal sagte er: »Es tut mir leid, Sir, darüber stehen mir keine Daten zur Verfügung.«
»Wieso nennst du mich dauernd ›Sir‹, wenn du meinen Namen kennst?« fragte Ross.
Der Roboter stand einen Augenblick still und begann zu ticken. Als Ross schon glaubte, die Frage nicht richtig formuliert zu haben, erhielt er die Antwort: »Eine Krankenschwester meines Typs hat zwei verschiedene Möglichkeiten im Umgang mit Menschen. Patienten gegenüber sind wir freundlich, aber autoritär, weil wir besser als sie wissen, was gut und was nicht gut für sie ist. Dann benutzen wir die Anrede ›Mister‹. Menschen, die keine Anzeichen physischer Fehlfunktion mehr zeigen, erkennen wir dagegen als uns übergeordnet an und gehorchen ihren Befehlen. In Ihrem Fall fiel die Einstufung nicht leicht, Sir.«
Ross lachte. Er lachte auch noch, als sie Dr. Pellews Arbeitszimmer erreichten. Es war viel kleiner als das frühere Quartier des ehemaligen Direktors, aber Ross sah die alten Stühle, Tische und Bücherregale. Nur Beethoven und Pellew selbst fehlten. Das große Hauptbuch lag genau in der Mitte des Schreibtischs zwischen einem leeren Aschenbecher und einem Kalender. Ross kannte Pellew als einen sehr zerstreuten und unordentlichen Mann, also mußten die Roboter hier aufgeräumt haben, während der Doktor im Tiefschlaf lag. Ross setzte sich hinter den Schreibtisch und schlug das Buch auf. Er erkannte Pellews krakelige Schrift auf Anhieb wieder. Plötzlich hatte Ross das Gefühl, etwas Verbotenes zu tun. Pellew konnte ihn nicht sehen, wenn er in seinem Heiligsten blätterte, und doch …
»Wer ist der jetzt diensthabende Arzt?« fragte er den Roboter. »Ich meine, wer ist wach?«
»Sie, Sir.«
»Ich? Aber ich bin …«, Ross besann sich gerade noch rechtzeitig. Vielleicht behandelte ihn der Roboter nur deshalb so zuvorkommend, weil er einem Irrtum unterlag. Vielleicht hatte die Personalknappheit tatsächlich schon solche Ausmaße angenommen, daß man Studenten wiedererwecken mußte, damit sie die Arbeit der Ärzte übernahmen.
»Haben Sie Instruktionen für mich, Sir?« fragte der Roboter.
Ross ging auf das Spiel ein, wie ein Arzt zu reden.
»Was die Patienten angeht, im Augenblick nicht. Aber ich habe Hunger.« Ross seufzte, als das Riesenei zu ticken begann. »Ich brauche Nahrung«, sagte er knapp und sachlich. Der Roboter verschwand.
5.
Die ersten sechs Seiten waren uninteressant, weil sie kurz nach Ross’ Einfrierung geschrieben worden waren und so keine neuen Aufschlüsse gaben. Ross überschlug einige Seiten und las:
Vor zwei Stunden brach die Kommunikation mit Abteilung F ab, und da wir seit über einer Woche mit allen anderen Abteilungen keine Verbindung mehr haben, erklärte ich unseren Leuten, daß wir die Panne den schweren Beben zu verdanken hätten, die bis hierher zu spüren sind. Eine Panik muß unter allen Umständen vermieden werden. Ich habe die Instandhaltungsroboter angewiesen, den Aufzug so zu versiegeln, daß niemand zu den anderen Abteilungen durchbrechen kann, schon gar nicht zur Oberfläche. Es gibt immer noch einige Uneinsichtige, die glauben, noch etwas retten zu können.
Offensichtlich hatte Ross zu weit vorgeblättert. Er erinnerte sich an das, was er über den Alarmzustand und die unbekannte Katastrophe gelesen hatte und schlug die Seiten zurück, als der Roboter mit sechs Nahrungskonserven erschien. Ross öffnete eine, trank die Flüssigkeit und begann wieder zu lesen.
Letzte Woche holte ich Courtland aus dem Tiefschlaf. In seiner augenblicklichen Verfassung wird er nur noch einige Monate leben können. Ich habe ihn quasi umgebracht, obwohl er immer wieder versicherte, daß er das Opfer gern auf sich nähme. Aber ich brauchte Hilfe, und er ist einer der führenden Kybernetiker unserer Zeit. Er arbeitet an einer Verbesserung unseres Standardroboters. Ich brauche eine Maschine, die initiativ werden und eigene Entscheidungen treffen kann, und der neue 5B scheint diese Fähigkeiten zu besitzen. Zwar bestreitet Courtland dies und sagt, er habe nur die Kapazität seiner Speicher vergrößert, so daß ein Vielfaches an Informationen und alternativer Ablaufprogramme aufgenommen werden könne, doch ich weiß, daß er stolz auf sein Werk ist. Er nennt den neuen Robot »Bea«. Er hat auch andere Modifikationen vorgenommen, von denen ich nicht das geringste verstehe. Jedenfalls behauptet er,
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