Das zweite Leben
Flammenwerfern entfachten Feuern stürmten die Fanatisierten das Gelände und zwangen die Verteidiger, sich auf engstem Raum zusammenzuziehen. Sie waren, das wurde schnell deutlich, gekommen, um die Lebensmittel- und Ölvorräte zu plündern, und nicht, um zu zerstören. Eine wahre Schlacht entbrannte, in deren Verlauf die Angreifer zurückgedrängt und dezimiert wurden, bis sie flohen, um sich neu zu sammeln.
Bei Sonnenaufgang brannte das halbe Raumfahrtzentrum. Das Schicksal des Raumfahrtprogramms schien endgültig besiegelt. Barclay schaffte es in den frühen Morgenstunden, einen Waffenstillstand mit den Plünderern auszuhandeln. Die Kolonne durfte mit allen Männern und Frauen des Zentrums, die sich ihr anschließen wollten, ungehindert den Belagerungsring passieren. Treibstoff und Nahrungsmittel für den Weg zum Camp Mac Ivor durften mitgenommen werden. Als Gegenleistung erhielten die Plünderer den Rest – von beidem eine beachtliche Menge. Die Vorratslager gehörten ihnen.
Die ums Fünffache angeschwollene Kolonne erreichte das Camp ohne weitere Zwischenfälle. Mac Ivor nahm die Spezialisten aus Camp Peters und aus dem Raumfahrtzentrum mit offenen Armen auf.
»Sie scheinen eine besondere Gabe zu haben, sich aus allem Ärger herauszureden«, meinte Conlon trocken. Dann lächelte er. »Ich nehme doch an, daß es Ihnen gelang, vor Ihrem Aufbruch ein paar Andenken mitzunehmen, Photographien, Flugpläne und Ähnliches.«
Barclay lächelte zurück und schüttelte den Kopf. »Die Räume, in denen sie sich befanden, brannten als erste. Alles, was ich gebrauchen konnte, befand sich in den Stahlkammern. Es war nicht schwierig, sie zu öffnen. Also belud ich einen Wagen mit Dr. Goyers Akten und Mikrofilmen und …«
»Sie taten was? « entfuhr es Bürger Conlon. Er war aufgesprungen und lehnte sich über den Schreibtisch, Barclay ungläubig anstarrend. Zum erstenmal ließ er seine Maske fallen und zeigte, daß auch er nur ein Mensch aus Fleisch und Blut war, der Gefühle hatte wie jeder andere. Conlons Gesichtsausdruck war der eines Anklägers, der gerade den ihm fehlenden Schuldbeweis gefunden hatte.
Die Schlechten Jahre waren vorbei. Überall begann der Neuaufbau. Recht und Ordnung waren wieder eingekehrt – zumindest hieß es so. Denn Barclay hatte den Eindruck, daß Gesetz und Justiz nicht immer das gleiche waren. Es gab Gesetze – doch wie sie ausgelegt wurden, stand auf einem anderen Blatt. Konnte man ihn denn wirklich heute noch für etwas bestrafen, das dreißig Jahre zurücklag? Barclay schwieg einen Augenblick und legte sich seine Verteidigung zurecht. Dann erklärte er mürrisch: »Ich habe nichts gestohlen, sondern nur wertvolles Material an mich genommen, das andernfalls vernichtet worden wäre!«
»Geheime Regierungssache«, sagte Conlon beherrscht. »Weit mehr als nur ›Top Secret‹. Sie haben es gelesen?«
»Natürlich. Aber Sie müssen verstehen, daß dies die Chance war, mehr über meinen Vater zu erfahren. Doch das meiste davon bestand aus privaten Aufzeichnungen Dr. Goyers, seinen Planungen und Berichten über zurückliegende Flüge. Mein Vater wurde nur am Rande erwähnt, und das, was über ihn geschrieben stand, war mir bekannt. Niemand außer mir hat die Sachen in die Hand bekommen. Ich hatte Mühe, einige wenige Einzelheiten zu begreifen. Das meiste verstand ich nicht. Ich bin Psychologe und kein Physiker. Niemand, den ich kenne, wäre aus Goyers Aufzeichnungen schlau geworden.«
»Aber es mag andere geben, die dazu in der Lage sind«, wandte Conlon ein. »Immerhin werte ich es als einen großen Pluspunkt für Sie, daß Sie das Material niemandem zugänglich gemacht haben. Sie werden aber verstehen, daß wir es konfiszieren müssen.«
Barclay sah Conlon schweigend an.
»Ihre Raumfahrtsammlung ist Ihr Heiligtum, habe ich recht? Sie würden lieber einen Arm verlieren …«
Barclay konnte nicht widersprechen. Seine Sammlung hatte ihn für viele unerfüllte Wünsche entschädigt. Schon als Kind hatte er Astronaut werden wollen, aber es war alles ganz anders gekommen. Nun gab es kein Raumfahrtprogramm mehr. Seine Sammlung war mehr geworden als nur Material, das ihm vielleicht Aufschluß über das Schicksal seines Vaters geben konnte. Sie hatte ihm und seiner Mutter die Verzweiflung gemildert. Doch nun …?
Es war immer noch besser, Conlon die Geheimpapiere auszuhändigen, als für seine Handlungen bestraft zu werden.
»Sie können sie haben«, sagte Barclay.
Lächelnd entgegnete
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