Das zweite Leben
ungezügelte Vitalität sprachen aus ihren Blicken. Sie sah so aus wie sie sich fühlte – und wie Peter sich fühlte: als ob sie gerade eben eine Verjüngung durchgemacht hätten.
»Komm«, sagte er leise. »Gehen wir zum Schiff, Liebes. Wir verschwenden Zeit.«
DER QUERULANT
»Bürger Conlon erwartet Sie, Sir«, sagte das Mädchen im Vorzimmer. »Wenn Sie Ihre Waffen hinterlassen, können Sie nun hineingehen.«
Barclay hatte nur zwei Minuten zu warten brauchen. Wie oft hatte er in Zimmern wie diesen gesessen und vergeblich darauf gehofft, zu den Personen vorgelassen zu werden, die ihm wirklich Auskunft geben können. Meistens war er von irgendwelchen kleinen Sekretären abgewiesen worden, während die Vorgesetzten keine Zeit für ihn hatten oder einfach nicht mit ihm sprechen wollten. Heute jedoch waren plötzlich alle Türen des Amtes für Technischen Wiederaufbau offen gewesen, als ob man nur auf ihn gewartet hätte. Kein stundenlanges Herumsitzen – nur ganze zwei Minuten.
Kopfschüttelnd betrat Barclay Conlons kleines Büro, in dessen Mitte ein riesiger Schreibtisch stand. Rechts davon sah Barclay einen Wandbildschirm, links eine unbeschriftete Tür. Hinter dem Schreibtisch saß Bürger Conlon, ein Mann Anfang vierzig, sehr konservativ gekleidet und mit einer orangefarbenen großen Spange im Haar, das lang über das rechte Ohr herabfiel. Das andere Ohr war frei und mit einer kleinen goldenen Scheibe behaftet, die ihn als Unantastbaren auswies. Ihn zu beleidigen oder gar zu fordern, war ein todeswürdiges Vergehen. Barclays Augen waren nicht mehr die besten, so daß er nicht erkennen konnte, ob das Symbol auf der Scheibe für die Gerichtsbarkeit oder die Medizin stand. Conlon nickte Barclay grüßend zu und wartete, bis dieser sich gesetzt hatte. Einige Augenblicke musterten die beiden Männer sich schweigend. Falls Conlon ein Vertreter der Justiz sein sollte, dachte Barclay, scheine ich wieder einmal in größere Schwierigkeiten geraten zu sein.
»Sie sind ein verdammt sturer und ausdauernder Mensch, Bürger Barclay«, begann Conlon in einem zugleich respektvollen und tadelndem Tonfall. »Sie haben Ihre Frage schon gestellt, bevor ich geboren wurde und stellen sie immer noch, obwohl man Ihnen immer und immer wieder die gleiche Antwort gegeben hat. Sie sind zweifelsohne der größte Querulant, mit dem wir und unsere Vorgänger uns herumschlagen mußten und müssen. Es gibt genügend Verrückte, die uns das Leben schwer machen, aber Sie sind ein Mann, der ein geregeltes Leben führt, produktiv ist und die Gesetze befolgt, was eine Geistesstörung ausschließen sollte. Ich sage bewußt ›sollte‹, denn jemand, der so wie Sie von einer fixen Idee besessen ist, ist immer in gewissem Maße verdächtig.«
Bevor Barclay etwas entgegnen konnte, sprach Conlon weiter: »Die Antwort, die Sie bekommen haben, war eindeutig durch Presseberichte dokumentiert. Damals waren Sie gerade zwölf Jahre alt. Sie haben sie nicht nur abgelehnt, sondern auch noch Ihre Mutter aufgehetzt. Es wurde Ihrer Jugend zugute gehalten, daß Sie die Geschichte nicht glauben wollten.«
»Also doch nur eine Geschichte? « unterbrach Barclay.
»Bitte beantworten Sie eine Frage nicht mit einer Gegenfrage. Eine Geschichte kann wahr oder unwahr sein. Lassen Sie diese Haarspaltereien, Bürger Barclay!«
Barclay fühlte sich nicht wohl in seiner Haut. Diese »Unterredung« war anders als die vorherigen, die er mit allen möglichen Beamten gehabt hatte. Bisher war er mit ein paar Sätzen abgefertigt worden – jetzt sah es nicht danach aus. Und der Mann, der ihm Antworten geben sollte, stellte nun die Fragen. Barclay kam sich vor wie in einem Verhör. Wann wird ein unbequemer Mensch zum Staatsfeind? fragte er sich. Trotzig sagte er: »Ich wollte von Anfang an nicht glauben, daß mein Vater so plötzlich tot sein sollte. Dann kam der offizielle Bericht, und die Art und Weise, wie mein Vater umgekommen sein soll, erschien mir an den Haaren herbeigezogen.«
»Warten Sie«, sagte Conlon. »Wir sprechen von einem Fall, der fünfzig Jahre zurückliegt. Bevor wir weiter darüber reden, sollten wir wissen, ob wir über ein und dieselbe Person sprechen. Ist dies ein Bild Ihres Vaters?«
Der Wandbildschirm erhellte sich. Das Bild zeigte Barclays Vater im Raumanzug, jedoch ohne Helm. Es befand sich nicht in Barclays Sammlung, wahrscheinlich, weil die Zeitungen nie Photos abgedruckt hatten, auf denen sein Vater so ernst wie auf diesem
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