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Das zweite Vaterland

Das zweite Vaterland

Titel: Das zweite Vaterland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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dort am Horizonte ein lichterer Streifen…«
    Thatsächlich breitete sich an jener Seite des Horizontes eine weniger dunkle Linie aus. Die Grenze zwischen Himmel und Wasser war deutlich zu erkennen. Es sah aus, als spaltete sich an jener Stelle die Dunsthülle, und vielleicht brach durch sie, wenn sie sich erweiterte, ein frischerer Luftzug herein.
    »Das bedeutet Wind!« versicherte der Obersteuermann.
    Immerhin blieb es ja nicht ausgeschlossen, daß die Dünste nur vor dem ersten Morgenscheine zeitweilig auseinander gewichen wären.
    »Ist das nicht blos der Tag, der dort herauszieht? fragte einer der Passagiere.
    – Möglicherweise der Tag, der freilich recht frühe käme, antwortete John Block. möglicherweise indeß auch die Brise. Ich habe schon so etwas davon an meinem Barte verspürt… da seht, die einzelnen Haare zittern ja noch. Natürlich weiß ich, daß es sich um keine Brise handelt, vor der man die Bramsegel einziehen müßte, doch aber um mehr Wind, als seit achtundvierzig Stunden geweht hat. Und dann, Herr Fritz, spitzen Sie nur die Ohren und lauschen, Sie werden wohl auch hören, was ich schon zu hören glaubte…
    – Sie haben reckt, bestätigte der Angeredete, nachdem er sich über das Schandeck hinausgebeugt hatte, das ist die Brise…
    – Und wir sind zu ihrem Empfange bereit, rief der Steuermann. Das Focksegel ist gehißt; wir brauchen nur die Schote etwas anzuziehen, um keinen Wind zu verlieren.
    – Doch wohin wird er uns treiben?
    – Wohin er will, antwortete der Steuermann, ich verlange von ihm weiter nichts, als daß er uns aus dieser verwünschten Gegend wegführt!«
    Wiederum vergingen zwanzig Minuten. Der Luftzug, der vorher kaum fühlbar war, wurde bald etwas stärker. Am Hintertheile schlugen kleine Wellen schon hörbar an. Die Schaluppe machte einige ausgiebigere Bewegungen, die nicht von der langsamen, mehr abschwellenden Dünung herrührten. Einzelne Falten des Segels weiteten sich etwas aus, schlossen sich dann und öffneten sich auch wieder und die Schote schlug gelegentlich gegen ihre Klampe. Der Wind war freilich noch immer nicht stark genug, das grobe Gewebe des Fock-und des Klüversegels aufzublähen. Man mußte sich vorläufig damit begnügen, die Schaluppe mittelst eines Riemens in der gleichen Richtung zu halten. Eine Viertelstunde später ließ sie aber schon ein leichtes Kielwasser hinter sich.
    Jetzt bemerkte einer der auf dem Vordertheile liegenden Passagiere, der sich erhoben hatte, die Lichtung, die sich am Himmelsrand im Osten etwas mehr erweiterte. Von Bank zu Bank kletternd, kam er zu dem Steuermann.
    »Deutet das auf eine Brise? fragte er.
    – Ja, gewiß, versicherte John Block. Ich glaube, daß wir sie bald haben, und festhalten werden wir sie, wie einen Vogel in der Hand, daß sie uns nicht entschlüpft!«
    Wirklich begann jetzt der Wind von jener Oeffnung der Wolkendecke her zu wehen und gleichzeitig brach dort der erste Schein des Tages deutlicher hindurch. Von Südosten bis Südwesten, ja fast über drei Vierteln des Himmelsgewölbes und auch oben im Zenith ballten sich aber noch dichte Wolkenmassen zusammen. Die Sehweite vom Boote aus beschränkte sich auf wenige Kabellängen, darüber hinaus wäre noch kein Schiff zu erkennen gewesen.
    Da die Brise auffrischte, mußte die Schote angezogen und das Focksegel, dessen Brisse zu lose hing, besser gehißt und um einige Kompaßstriche gewendet werden, um dem Klüversegel den Wind nicht abzufangen.
    »Wir haben ihn… wir haben ihn!« rief der Obersteuermann freudig, als die etwas über Steuerbord liegende Schaluppe mit dem Bug ein wenig in die ersten Wellen einschnitt.
    Nach und nach vergrößerte sich die helle Stelle mehr nach dem Zenith zu. Der Himmelsgrund färbte sich mit röthlichen Tönen. Daraus war zu schließen, daß der Wind sich eine Zeit lang in der gleichen Richtung halten, und daß damit in diesem Theile des Oceans die Periode der Windstille abgeschlossen sein werde.
    Jetzt wuchs auch die Hoffnung, nach einem mehr oder weniger nahen Lande zu kommen oder einem Schiffe zu begegnen, das, nachdem es ebenfalls mehrere Tage still gelegen hatte, nun imstande gewesen war, seine Fahrt fortzusetzen.
    Gegen fünf Uhr verbrämte sich die Wolkenöffnung mit einem Kranz sehr lebhaft gefärbten lichten Dunstes. Das war der Tag, der mit der den niedrigen Breiten der intertropischen Zonen eigenen Schnelligkeit herauszog. Bald strahlte ein purpurfarbener Schein fächerförmig vom Horizonte empor. Der Rand der

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