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Das zweite Vaterland

Das zweite Vaterland

Titel: Das zweite Vaterland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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Schlummer. Ich habe mich vielleicht einer starken Lüge schuldig gemacht, als ich vom Lande sprach, als ob es schon in Sicht wäre. Hab’ ich damit ein Unrecht begangen?
    – Nein, John Block, erwiderte der jüngste der drei Passagiere, das sind Nothlügen, die der Himmel verzeiht.«
    Die Unterhaltung endete hiermit, und die Stille ringsum wurde nicht weiter gestört, als durch das Klatschen der Segel am Maste, wenn die Schaluppe sich von dem einen Bord nach dem anderen neigte. Die meisten von denen, die sie trug, und die von Müdigkeit erschöpft, von Entbehrungen geschwächt waren, vergaßen in bleischwerem Schlafe die drohenden Gefahren der Zukunft.
    Von einer Zukunft konnte man freilich kaum sprechen, da diese vielleicht auf wenige Tage zusammenschmolz. Hatten die Unglücklichen noch einigen Vorrath, ihren Durst zu löschen, so wußten sie doch schon morgen nicht mehr, womit sie ihren Hunger stillen sollten. Von den wenigen Pfunden Pökelfleisch, die bei der Aussetzung der Schaluppe noch in diese geworfen worden waren, war nichts mehr vorhanden. Die Passagiere waren – elf Personen! – nur noch auf einen Sack Schiffszwieback angewiesen. Wie sollten sie aber vorwärts kommen, wenn die Windstille anhielt?… Seit achtundvierzig Stunden war kein Lufthauch durch die erstickende Atmosphäre gestrichen, nicht einmal einer der vereinzelten Windstöße, die fast den letzten Seufzern eines Sterbenden gleichen. Hier drohte also binnen kurzer Frist der Tod durch Hunger!
    Zu jener Zeit gab es noch keine Dampfschiffahrt. Es war daher nur zu unwahrscheinlich, daß auch ein Fahrzeug in diesem Meerestheile auftauchte und daß die Schaluppe wegen Mangel an Wind in Sicht einer Festlandsküste oder einer Insel kommen könnte.
    Hier galt es in der That, ein festes Vertrauen auf Gott zu haben, um nicht der Verzweiflung zu verfallen, oder sich der unerschütterlichen Philosophie des Steuermanns zu erfreuen, der die Dinge immer nur von der besten Seite ansah. Auch jetzt hätte man ihn wiederholt für sich murmeln hören können:
    »Ich weiß es ja, sprach er leise für sich, der Augenblick wird kommen, wo der letzte Zwieback verzehrt ist, so lange man aber noch einen Magen hat, darf man sich nicht allzu sehr beklagen, wenn man auch nichts hineinzustecken hat! Ja, wenn man keinen Magen und doch etwas hätte, einen solchen damit zu füllen, das wäre eine schlimme Verlegenheit!«
    Während John Block am Steuer blieb, hatten die anderen Insassen ihren Platz auf den Bänken wieder eingenommen; sie sprachen aber kein Wort. Das Wimmern des Kindes, die ihm unbewußten Klagen des Kapitäns unterbrachen allein die unheimliche Stille.
    So verstrichen zwei Stunden. Die Schaluppe war kaum um eine Kabellänge weiter gekommen und bewegte sich nur mit dem Auf-und Abschwellen der Dünung. Diese aber bleibt immer auf derselben Stelle. Mehrere Holzstückchen, die am Abend vorher über Bord geworfen worden waren, schwammen noch immer in der Nähe umher, und das Segel hatte sich nicht ein einzigesmal gebläht, die Schaluppe davon wegzuführen.
    Unter diesen Umständen war es eigentlich unnöthig, am Steuer, das doch keine Wirkung haben konnte, auszuharren. Der Obersteuermann hatte seinen Posten aber nicht verlassen wollen. Die Ruderpinne unter dem Arme, versuchte er wenigstens, die Gierschläge zu mildern, die die Schaluppe immer von Backbord nach Steuerbord warfen, um seinen Gefährten gar so arge Stöße zu ersparen.
     

    »Blicken Sie da hinunter, nach Osten hin,« sagte John Block. (S. 267.)
     
    Es mochte gegen drei Uhr Morgens sein, als John Block einen leichten Hauch an seine Wangen wehen fühlte, obwohl diese bei seinem langen Seeleben nicht gerade zart geblieben waren.
    »Sollte der Wind aufwachen?« murmelte er, sich erhebend.
    Nachdem er sich nach Süden zu gewendet hatte, streckte er den mit Speichel befeuchteten Zeigefinger hinaus.
     

    Einer der ersten, die an Bord kamen, war James Wolston. (S. 271.)
     
    Kein Zweifel, er empfand infolge der Verdunstung eine gewisse Kühle, und gleichzeitig hörte er aus der Ferne das Plätschern von Wellen.
    Da wendete er sich an einen der Passagiere, der auf einer der Bänke in der Mitte neben einer Frauengestalt saß.
    »Herr Fritz!« rief er halblaut.
    Dieser erhob den Kopf und neigte sich etwas nach ihm hin.
    »Was wünschen Sie, Steuermann? fragte er leise.
    – Blicken Sie da hinunter, nach Osten hin, sagte John Block.
    – Was sehen Sie denn da draußen?
    – Täusche ich mich nicht, so entsteht

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