Das zweite Vaterland
zusammen untergebracht. Jenny theilte mit Doll das für diese bestimmte Zimmer, wie sie schon auf der Fahrt hierher die Cabine mit ihr getheilt hatte.
Von ihrer Tante hörte sie, daß der Oberst im letzten Feldzuge gestorben war. (S. 276.)
James Wolston’s Gattin war eine noch junge Frau von vierundzwanzig Jahren, von sanftem, gutem Charakter und hervorragender Intelligenz, deren ganzes Leben in der herzlichsten Liebe zu ihrem Gatten aufging. Dieser wieder, ein ernster, thätiger Mann, erinnerte in der äußeren Erscheinung wie in den seelischen Eigenschaften unwillkürlich an seinen Vater. Die beiden Gatten hatten ein Kind von fünf Jahren, Bob mit Namen, das ihr Stolz und ihre Freude war. Frau Wolston, eine geborene Engländerin, gehörte einer Kaufmannsfamilie an, die schon seit langer Zeit in der Colonie ansässig war. Bei ihrer Verheiratung mit dem damals siebenundzwanzigjährigen James Wolston stand sie jedoch als Waise in der Welt allein.
Die vor fünf Jahren in Capetown gegründete Firma Wolston hatte sich recht glücklich entwickelt. Als umsichtiger, überaus praktischer Engländer mußte James wohl Erfolg haben in dieser Colonie, die 1805 – hundertvierundsechzig Jahre nach ihrer Entdeckung durch die Holländer – in britischen Besitz überging und als solcher 1815 endgiltig bestätigt wurde.
Vom 17. bis 27. December, in den zehn Tagen, die der Aufenthalt der »Licorne« währte, war nur die Rede von der Neuen Schweiz, von den Ereignissen, die sich daselbst abgespielt hatten, von den verschiedenen Arbeiten und den vielfachen Anlagen, die im Laufe von elf Jahren von der Familie Zermatt und zuletzt unter der Mitwirkung der Familie Wolston ausgeführt worden waren. Dieses Gesprächsthema erschien wirklich unerschöpflich. Man mußte nur Doll von all dem Schönen erzählen und Franz sie dabei noch anfeuern, ja gelegentlich ihr noch den Vorwurf machen hören, daß sie von dem Guten ihrer wunderbaren Insel noch nicht einmal genug sagte. Dann sang wohl Jenny, zur großen Befriedigung Fritzens, das Loblied weiter. Wie überglücklich aber würde sie erst sein, wenn sie nach dem Wiedersehen mit ihrem Vater diesen bestimmen könnte – und daran zweifelt sie gar nicht – sich in einer der Meiereien des Gelobten Landes niederzulassen! Welch verheißungsvolle Aussicht, sich den Gründern dieser Colonie anzuschließen, einer Colonie, der eine so blühende Zukunft winkte!
Kurz, die Zeit verstrich ungemein schnell, und es genügt hier wohl – ohne näher darauf einzugehen – die Bemerkung, daß James Wolston sich, in Uebereinstimmung mit seiner Gattin, entschlossen hatte, vom Cap nach der Neuen Schweiz überzusiedeln. Während der Fahrt der Corvette nach Europa und zurück wollte er seine Geschäftsangelegenheiten ordnen und sein Vermögen flüssig machen, um zur Abreise bereit zu sein, sobald die »Licorne« wieder erschiene. Er würde also zu den ersten Auswanderern gehören, die der so glücklich aufblühenden Gründung der Zermatts und der Wolstons ihre Kräfte liehen – ein Entschluß, der beide Familien gewiß aufs höchste erfreute.
Die Abfahrt der »Licorne« war auf den 27. festgesetzt warden. Den Gästen James Wolston’s erschien der Aufenthalt des Schiffes hier freilich recht kurz. Am genannten Tage wollte kaum jemand glauben, daß die Stunde zum Abschiede schon gekommen sei und der Lieutenant Littlestone die Corvette bereits segelfertig machen lasse.
Man mußte sich jedoch wohl oder übel in die Trennung fügen, doch mit dem tröstlichen Gedanken, nach acht bis neun Monaten in Capetown zurück zu sein und dann vereinigt nach der Neuen Schweiz abzufahren. Immerhin gestaltete sich der Abschied recht schmerzlich. Jenny Montrose und Suzan Wolston küßten sich thränenden Auges, auch Doll weinte bitterlich. Das junge Mädchen war ernstlich betrübt über den Weggang Franzens, dem bei seiner warmen Zuneigung für sie das Herz ebenfalls recht schwer geworden war. Als sein Bruder und er mit James Wolston den letzten Händedruck wechselten, konnten sie sich sagen, daß sie hier einen wahren Freund zurückließen.
Am Morgen des 27. stach die »Licorne« bei etwas bedeckter Witterung in See. Ihre Fahrt verlief mit mittlerer Geschwindigkeit, da der Wind wochenlang zwischen Nordwest und Südwest wechselte Die Corvette bekam dabei nach einander St. Helena, Ascension und die Inseln des Grünen Vorgebirges in Sicht, letztere etwa in der Höhe der westafrikaniscken Besitzungen Frankreichs. Nachdem sie
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