Das zweite Vaterland
Vorbergen der Kette versank.
Hier lagen nun Felsstücke umher, Trümmer, die sich vom Gipfel des Berges gelöst hatten. An manchen Stellen sprudelten auch Wasserfäden hervor, die wahrscheinlich die Quellen des Montrose bildeten und der Bodenneigung entsprechend nach Osten zu hinabflossen.
Den Aufstieg noch an demselben Abend zu unternehmen und vielleicht die ganze Nacht daran zu wagen, das wäre offenbar gefährlich gewesen. Trotz ihres Verlangens nach Erreichung des letzten Zieles, kam auch weder Herrn Wolston noch den zwei Brüdern ein solcher Gedanke. Sie sachten und fanden nur eine Aushöhlung in der Felsmasse, in der sie die Nacht geschützt zubringen konnten. Während sich Ernst dann mit der Vorbereitung des Abendessens beschäftigte, sammelten Wolston und Jack bei den letzten Bäumen noch dürres Gras und Moos ein, um den steinigen Boden der Grotte damit zu bedecken. Dann verzehrte man einige eben erlegte Tetras, eine Art kleiner Auerhähne, nachher aber dachten alle bei ihrer großen Ermüdung nur noch daran, bald eine erquickende Ruhe zu finden.
Einige Vorsichtsmaßregeln mußten indeß vorher doch noch getroffen werden. Mit einbrechender Dunkelheit ließ sich wiederholt ein nahes Heulen hören und es schien sogar, als ob sich dem ein Brüllen beimischte, über dessen Natur kein Zweifel herrschen konnte.
Deshalb wurde am Grotteneingange ein Feuer angezündet und die ganze Nacht über mit dem trockenen Holze unterhalten, das Wolston und Jack in großer Menge herbeigeschafft hatten.
Hierauf übernahmen Ernst als der erste, Jack als der zweite und Wolston als der letzte, bei dreistündiger Ablösung, bis zum Sonnenaufgang die Wache.
Schon sehr früh waren alle drei wieder auf den Füßen.
»Halloh, Herr Wolston, rief da Jack mit weithin schallender Stimme, nun ist der große Tag gekommen!… Binnen wenigen Stunden wird Ihr sehnlichster Wunsch erfüllt sein und Sie werden endgiltig unsere Flagge auf dem höchsten Punkte der Neuen Schweiz aufgepflanzt haben!
– Binnen wenigen Stunden… nun ja… wenn die letzte Wegstrecke nicht allzuviele Schwierigkeiten bietet, bemerkte Ernst.
– Jedenfalls, ob es nun heute ist oder morgen, antwortete Wolston werden wir bald über den Umfang der Insel aufgeklärt sein…
– Mindestens, fiel Jack ein, wenn sie sich von ihrem südlichen Theile nach Westen zu nicht bis über Sehweite hin ausdehnt.
– Was gar nicht unmöglich wäre, setzte Ernst hinzu.
– Ich glaube das nicht, antwortete Wolston, denn dann wäre sie bisher nicht den Seefahrern entgangen, die diesen Theil des Indischen Oceans besuchen.
– Nun, wir werden ja sehen!« schloß Jack das Gespräch.
Nach einem Frühstück von kaltem Wild wurde der Ueberrest sorglich mitgenommen, denn auf dem steilen Abhange, den zu erklimmen selbst Falb keine besondere Lust verrieth, fehlte es gewiß ganz an jagdbaren Thieren. Da nach dem Verlassen der Grotte ein Angriff von Raubthieren nicht mehr zu befürchten war, wurden die Gewehre an ihrem Gurt übergehängt. Dann begannen, Jack an der Spitze, Ernst hinter ihm und Wolston als Nachtrab, alle drei den Aufstieg nach den ersten Absätzen.
Nach einer Schätzung Ernsts mochte die Höhe des Bergrückens elf-bis zwölfhundert Fuß betragen. Ein vereinzelter Kegel, der sich gegenüber dem Tannenholze erhob, überragte die Kammlinie noch etwa um fünfzig Toisen. Auf dem Gipfel dieses Bergkegels beabsichtigte Wolston die Flagge der Neuen Schweiz zu hissen.
Hundert Schritte von der Grotte nahm die Waldzone der Gegend ein plötzliches Ende. Darüber zeigten sich einzelne grünende Bodenstücke, Grasflächen mit Gebüschen, Aloes, Mastixsträuchern, Myrthen und Haidekraut, bis auf sechs-bis siebenhundert Fuß Höhe – wo die zweite Bergzone abschloß. Die Steilheit der Abhänge war aber schon so groß, daß sie stellenweise fünfzig Grade überschritt. Infolge dessen mußte der Weg etwas verlängert werden, indem man abwechselnd nach links und rechts schräg emporstieg.
Das Hinaufdringen wurde übrigens dadurch begünstigt, daß der Boden überall einen sicheren Stützpunkt bot. Noch brauchte man nicht die Hände zum Klettern zu Hilfe zu nehmen oder gar auf allen Vieren zu kriechen. Der Fuß stand immer fest auf dem Grün, das durch Wurzeln und steinige Spitzen uneben war. Ein Sturz war also kaum zu befürchten, und schlimmsten Falls wäre man dabei höchstens einige Fuß tief auf eine dichte Moosdecke gepurzelt.
Der Aufstieg vollzog sich also ohne Unterbrechung, wenn
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