Die San-Diego-Mission
PROLOG
Die Hochzeitssuite
I m Jahr 1982 unterzogen sich drei Polizeibeamte aus San Diego einer psychologischen Behandlung, um ein paar seelische Probleme in den Griff zu kriegen, die entweder das Police Department in eine peinliche Lage bringen oder ihnen selber gefährlich werden konnten.
Die drei Beamten, von denen hier die Rede ist, waren davon überzeugt, daß ihre Schwierigkeiten, die sich längst zu massiven Störungen ihres Lebens ausgewachsen hatten, unmittelbar mit ihrer polizeilichen Tätigkeit zusammenhingen. Mindestens zwei von ihnen hatten Phasen durchgemacht, in denen sie ständig weinten, was bei immer unter Streß stehenden Polizisten naheliegend ist. Mindestens zwei hatten gelegentlich den Gedanken an Selbstmord gehegt, was bei ständig unter Streß stehenden Polizisten extrem naheliegend ist. Im übrigen war das einzige, was die drei Beamten gemeinsam hatten, die Tatsache, daß sie alle bei einem vom San Diego Police Department veranstalteten kleinen Experiment mitgemacht hatten. Dieses Experiment dauerte achtzehn Monate, bis zum April 1978. Es war ein seltsames Experiment, dessen Ergebnisse nach wie vor auf beiden Seiten der Grenze zwischen Mexiko und den USA diskutiert werden.
Zehn Beamte des San Diego Police Departments waren beauftragt worden, Fußstreife zu gehen. Es dürfte eine der merkwürdigsten und auch eine der denkwürdigsten Fußstreifen gewesen sein, die amerikanische Polizisten je gegangen sind.
Abgesehen davon, daß hier die Geschichte dieser Fußstreife erzählt wird, geht es auch um die Geschichte zweier Großstädte. In jedem der beiden Stadtbereiche wohnen etwa eine Million Menschen. Einer ist gebietsmäßig klein, und die Leute hocken sehr dicht aufeinander. Einer ist groß und weit auseinandergezogen.
In einer der Städte leiden die Einwohner noch an Krankheiten, die in der anderen längst als exotisch gelten: Cholera, Kinderlähmung, Typhus, Tuberkulose, Rachitis. In der anderen Stadt, die von der erstgenannten faktisch lediglich durch eine imaginäre Grenze getrennt wird, gibt es einige der reichsten Besitztümer im reichsten Teil des reichsten Staates im reichsten Lande der Welt.
Etwa zwei Autostunden von dieser unsichtbaren Grenze entfernt in Richtung Norden finden sich unglaubliche schwimmende Reichtümer: Yachten und Luxusboote, sicher kaum weniger als eine halbe Million. Und sicher kaum weniger als hundertfünfzig Konstrukteure solcher Yachten und Luxusboote geben sich verzweifelte Mühe, die unersättliche Nachfrage zu stillen.
Obgleich es grundsätzlich schwer ist, die Herkunft ungewöhnlicher Ideen zu ermitteln, dürfte es dennoch sicher sein, daß diese eine vor langen Jahren in einem Hotel in der Nähe der mexikanischen Grenze geboren worden ist. Im obersten Stockwerk dieses Hotels in San Ysidro liegt die »Hochzeitssuite«. Der einzige Bewohner war ein Beamter der United States Border Patrol, ein Grenzschützer also. Mit zwei großen Schritten konnte er den kleinen Raum mühelos durchqueren. Immerhin war er ein sehr großer Mann, der eine sehr kleine Behausung sein eigen nannte, deren Bezeichnung eigentlich nur ironisch gemeint sein konnte.
Dick Snider erinnert sich noch sehr lebhaft an seine Tage in diesem Hotel. Der Boden außerhalb seines Zimmers war abschüssig, so daß er stets einen Schlittschuhlauf veranstalten mußte, um in das grünlich verschleimte Bad am anderen Ende des Flurs zu gelangen. Den Flur raufzurutschen und sich hochzuhangeln war eine andere Sache und ein ziemliches Problem, vor allem, wenn er sich wieder mit Tequila und Agavenschnaps und mexikanischem Bier im Playland Club hatte vollaufen lassen, einer Art Varietétheater mit Bar, das von einer ehemaligen Seiltänzerin betrieben wurde.
Der seinerzeit Fünfundzwanzigjährige hatte in dieser seiner ersten Zeit bei der Border Patrol gerade eben das Nötigste zum Leben, weil er sich und seine getrennt von ihm lebende Familie von 75 Dollar wöchentlich ernähren mußte, und sicherlich deshalb ist ihm das alles eigentlich bloß noch als eine Lebensphase in Erinnerung, in der er dreimal täglich Käsesandwiches aß und der ehemaligen Seiltänzerin interessiert zuhörte, wenn die sich ihrerseits an die guten alten Tage auf dem Drahtseil erinnerte.
San Ysidro ist keine eigenständige Stadt; es ist im Grunde nur eine Enklave innerhalb von San Diego, in der Spanisch gesprochen wird. Man kann, heißt es, von jedem Haus in San Ysidro aus mit einer leeren Tequilaflasche den
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