Dass du ewig denkst an mich
schon eine neue Nummer
gewählt.
Beth war wirklich gemein. Laurie ging auf Zehenspitzen
hinaus und spähte ins Eßzimmer. Mama und ihre Freundinnen
redeten und lachten immer noch. Mama sagte gerade: »Kannst
du dir vorstellen, daß es schon zweiunddreißig Jahre her ist,
seit wir unsere Abschlußprüfung gemacht haben?«
Die Frau, die neben ihr saß, sagte: »Nun, Marie, bei dir
könnte man das schon vergessen. Du hast eine vierjährige
Tochter. Ich habe eine vierjährige Enkeltochter!«
»Ach was, wir sehen immer noch verdammt gut aus«, sagte
eine andere, und dann lachten sie alle wieder schallend.
Sie bemerkten sie nicht einmal, als Laurie ins Zimmer kam.
Sie waren auch gemein. Die hübsche Spieldose, die Mamas
Freundin ihr gebracht hatte, stand auf dem Tisch. Laurie nahm
sie. Bis zur Gittertür waren es nur ein paar Schritte. Sie öffnete
sie lautlos, rannte über die Veranda und die Einfahrt hinunter
zur Straße. Dort fuhren immer noch Autos vorbei. Sie winkte.
Sie sah zu, bis die Kolonne verschwunden war, und seufzte.
Hoffentlich ging der Besuch endlich. Sie zog die Spieldose auf
und hörte Klavierklimpern und Singstimmen: »Osten,
Westen…«
»Hallo, Kleine.«
Laurie hatte gar nicht gemerkt, daß jemand an den Randstein
gefahren war und angehalten hatte. Eine Frau saß am Steuer.
Der Mann neben ihr stieg aus, hob Laurie hoch, und ehe sie
wußte, wie ihr geschah, saß sie eingezwängt zwischen den
beiden auf dem Vordersitz. Laurie war zu überrascht, um etwas
zu sagen. Der Mann lächelte sie an, aber es war kein nettes
Lächeln. Der Frau hing das Haar ins Gesicht, und sie trug
keinen Lippenstift. Dei Mann hatte einen Bart und eine Menge
gekräuselter Haare auf den Armen.
Der Wagen begann sich in Bewegung zu setzen. Laurie
preßte die Spieldose an sich. Jetzt sangen die Stimmen »In der
ganzen Stadt herum… Jungs und Mädels zusammen …«
»Wo fahren wir hin?« fragte sie. Ihr war eingefallen, daß sie
nicht allein auf die Straße hinaus durfte. Mama würde böse
sein. Tränen stiegen ihr in die Augen.
Die Frau blickte finster. Der Mann sagte: »In der ganzen
Stadt herum, meine Kleine. In der ganzen Stadt herum.«
2
Vorsichtig ein Stück Geburtstagskuchen auf einem Pappteller
balancierend, eilte Sarah die Straße entlang. Laurie liebte
Schokoladenfüllung, und Sarah wollte bei ihr gutmachen, daß
sie nicht mit ihr gespielt hatte, als Mama Besuch hatte.
Sie war ein knochiges, langbeiniges zwölfjähriges Mädchen
mit großen grauen Augen, karottenrotem Haar, das sich bei
feuchtem Wetter kräuselte, Haut so weiß wie Milch und einem
Spritzer Sommersprossen quer über die Nase. Sie sah weder
ihrer Mutter noch ihrem Vater ähnlich - ihre Mutter war
zierlich, blond und blauäugig, das graue Haar ihres Vaters war
ursprünglich dunkelbraun gewesen.
Sarah beunruhigte es, daß John und Marie Kenyon so viel
älter waren als die Eltern anderer Kinder. Sie hatte immer
Angst, sie könnten sterben, ehe sie herangewachsen war. Ihre
Mutter hatte ihr einmal erklärt: »Wir waren schon fünfzehn
Jahre verheiratet, und ich hatte die Hoffnung aufgegeben, je ein
Baby zu bekommen. Als ich siebenunddreißig war, wußte ich,
daß du unterwegs warst. Wie ein Geschenk. Und als dann acht
Jahre später Laurie auf die Welt kam - oh, Sarah, das war ein
Wunder!«
Sarah erinnerte sich, wie sie in der zweiten Klasse Schwester
Catherine gefragt hatte, was besser sei, ein Geschenk oder ein
Wunder.
»Ein Wunder ist das größte Geschenk, das ein Mensch
bekommen kann«, hatte Schwester Catherine gesagt. Als Sarah
darauf mitten in der Klasse zu weinen anfing, flunkerte sie und
sagte, sie hätte Magenschmerzen.
Obwohl sie wußte, daß Laurie der Liebling war, liebte Sarah
ihre Eltern über alles. Als sie zehn Jahre war, hatte sie einen
Handel mit dem lieben Gott abgeschlossen. Wenn Er nicht
zuließ, daß Papa und Mama starben, ehe sie erwachsen war,
würde sie jeden Abend die Küche saubermachen, helfen, sich
um Laurie zu kümmern, und nie wieder Kaugummi kauen. Sie
hielt ihren Teil des Handels ein, und bis zur Stunde hatte der
liebe Gott sich auch an die Abmachung gehalten.
Ohne daß sie es bemerkte, spielte ein kleines Lächeln um
ihre Lippen, als sie um die Ecke der Twin Oaks Road bog. Sie
erstarrte. Zwei Polizeiwagen mit zuckendem Blaulicht standen
in der Einfahrt. Eine Menge Nachbarn hatten sich versammelt,
selbst die neuen Leute zwei Häuser weiter unten an der Straße
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